Herausforderungen gemeinsam mit SchülerInnen bewältigen

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Kira fühlte sich schlecht. Sie kam mit ihrem Arbeitsblatt nicht klar. Auch Roman fühlte sich schlecht. Er sollte in der gleichen Kleingruppe wie Dario arbeiten, mit dem er gerade auf dem Pausenhof Streit hatte.

Negative Emotionen unserer SchülerInnen haben massive Auswirkungen auf den Unterricht. Wie SchülerInnen lernen, Schwierigkeiten als bewältigbare Herausforderung zu sehen und warum Lehrkräfte dabei eine Hauptrolle spielen, zeigt dieser Beitrag von Christoph Eichhorn:


Gastbeitrag von Christoph Eichhorn, Lehrbeauftragter für Classroom-Management an den Universitäten Zürich, Konstanz, Tübingen und an Pädagogischen Hochschulen in Deutschland und Österreich. Er bietet Workshops und Vorträge zu Themen wie "Interventionen bei Stören" oder Classroom-Management" an.
Sein wichtigstes Buch "Classroom-Management Basiswissen Kompakt: Stören"

www.classroom-management.ch


Alltagsbelastungen in der Schule und deren Konsequenzen

Immer mehr Lehrpersonen (L) ist es ein großes Anliegen, dass sich ihre Schülerinnen und Schüler (SuS) in der Schule wohlfühlen, mit klar positiven Konsequenzen für deren Persönlichkeits- und Lernentwicklung (Lopez, Snyder, 2009). Das Leben hält zahlreiche Schwierigkeiten bereit, und es gibt vieles, was SuS während des Schulalltags belasten kann, wie z.B.:

  • sich nicht dazu gehörig fühlen
  • sich von anderen unfair behandelt fühlen
  • mit dem Lernen nicht klarkommen
  • Stress mit den Eltern wegen der Schule haben
  • den Unterricht langweilig finden
  • Aufgaben oder Arbeitsblätter nicht lösen können
  • die Erklärungen der Lehrkraft nicht verstehen
  • sich vom Lehrer oder Mitschülern unfair behandelt fühlen usw., usw.

Was sollen diese Schülerinnen und Schüler jetzt tun?

Wir wissen, dass die damit verbundenen negativen Emotionen unserer SuS massive Auswirkungen auf unseren Unterricht haben. Die SuS kooperieren weniger mit ihrer Lehrerperson und ihre Möglichkeiten der Selbststeuerung gehen stark zurück (Baumeister, 2018). Dann stören sie mehr. Die Lehrkraft muss mehr eingreifen und ermahnen – was wiederum auf Kosten der Beziehung zu den SuS und des Klassenklimas geht. Das möchten wir nicht.

Klar, die meisten SuS gehen gerne in die Schule. Trotzdem erleben auch sie dort zahlreiche belastende Situationen. Und sind mit deren Bewältigung überfordert.

Präventiv Bewältigungsstrategien besprechen und einüben

Frau Schneider (geänderter Name), Lehrerin einer 5. Klasse will, dass ihre SuS frühzeitig über Handlungsoptionen für kritische Situationen verfügen. Ihr Ziel ist, dass ihre SuS Belastungssituationen aktiv angehen und so weniger negative Emotionen erleben.

Belastende Situationen sammeln und gewichten
Frau Schneiders SuS arbeiten in Kleingruppen an den Fragen, "was ist an der Schule schwierig?" und "was stört euch?". Sie könnte auch fragen, "worüber ärgert ihr euch?", oder "was sollte anders sein?" und ähnliches.
Frau Schneider sammelt alle Ergebnisse auf einem großen Blatt. Dann gewichten sie diese, so dass z.B. zwei übrig bleiben. Sie lauten:

  1. Wenn wir Streit haben
  2. Wenn ich etwas nicht verstehe

"Sie sind unfair"
... lautete eine der Antworten aus einer der Kleingruppen. Keine erfreuliche Botschaft. Aber eine wichtige. Interventionsleitlinien für derartige Aussagen finden Sie in Eichhorn (2018 A).


Handlungsoptionen überlegen

Und wieder geht’s in Kleingruppen. Dieses Mal überlegen die SuS, wie sie die Probleme angehen könnten. Also, "was kannst du tun,

  1. wenn du mit jemand Streit hast",
  2. wenn du etwas nicht verstehst."

Alle Vorschläge werden gesammelt. Die SuS wählen die besten aus – Frau Schneider hilft ein bisschen mit, diese kurz, prägnant und positiv zu formulieren.

Vorsätze nach dem "wenn…, dann…"-Muster erarbeiten
Vorsätze nach dem "wenn… dann…"-Muster haben sich in der Forschung als sehr geeignet gezeigt, um Handlungsmuster für Problemsituationen anzugehen, (z.B. Gollwitzer and Oettingen 2015).
Die SuS haben mit Frau Schneiders Hilfe folgende Vorsätze erarbeitet:

  • "Wenn mich ein S schlägt oder beleidigt, dann sage ich es meiner L."
  • "Wenn ich etwas nicht verstanden habe, dann zeige ich unsere rote Signalkarte."

An die Vorsätze erinnern
Immer wieder spricht Frau Schneider mit ihren SuS über die Vorsätze. So lernen sie, diese mit der Zeit umzusetzen.

Unterstützungstreffen
Nicht alle SuS können die Vorsätze umsetzen. Frau Schneider hat eine Kleingruppe mit diesen SuS gebildet, mit der sie sich zusätzlich anfangs einmal pro Woche für 15 Minuten trifft, um sie intensiver begleiten zu können. Sie sprechen darüber, was bereits gut klappt und was sie noch ein bisschen verbessern können. Zum Beispiel indem sie sich gegenseitig an ihre "wenn…, dann…"-Vorsätze höflich erinnern. Sie achtet darauf, dass diese Treffen für ihre SuS in guter Stimmung enden. Dazu machen sie am Schluss ein kleines Spiel. Mit ihrem Schulleiter und mit den Eltern dieser SuS hat sie sich zuvor abgesprochen.

Eltern einbeziehen
Frau Schneider erklärt am Elternabend, was ihre SuS erarbeitet haben. Dabei lobt sie ihre Klasse großzügig. Das kommt bei den Eltern sehr gut an. Die Eltern sind stolz auf ihr Kind. Damit erreicht Frau Schneider fast nebenbei das eigentlich wichtigste Ziel für Elternabende, nämlich, diese so zu gestalten, dass die Eltern auf ihr Kind stolz sein können.

Und in der 11. Klasse?
Auch 11. Klässler erleben erhebliche Belastungen. Im Gymnasium einer 11. Klasse fragte ein L seine SuS, "warum ist es wichtig, dass wir lernen, Stress zu bewältigen?" Dann ging er ähnlich wie oben beschrieben vor. Zusätzlich arbeiteten seine SuS zu Themen aus der Stress- und Erholungsforschung, der Positiven Psychologie und im Biologieunterricht zur Psychoneuroimmunologie.


Literatur

  • Baumeister, R.F. (2018): Self-Regulation and Self-Control: Selected works of Roy F. Baumeister (World Library of Psychologists), Routledge.
  • Eichhorn, C. (2018 A): Classroom-Management Basiswissen Kompakt: Stören
    Die wirksamste Störungsprävention
    Interventionsleitlinien bei kleinen Störungen
    Interventionsleitlinien bei großen Störungen.
  • Eichhorn, C. (2018 B): Classroom-Management: Wie Lehrer, Eltern und Schüler guten Unterricht gestalten. Klett-Cotta, 10. Aufl.
  • Gollwitzer, P., Oettingen, G., (2015): Self-Regulation in Adolescence (The Jacobs Foundation Series on Adolescence). Cambridge University Press.
  • Lopez, S., Snyder, C., (2009): Second Handbook of Positive Psychology. Oxford. 2nd edition.