Hungern und Essen für die Seele – Ess-Störungen

Mag. Michaela Ferge, IBCLC,Ernährungswissenschafterin, führt mit diesem Fachartikel in den Themenkreis Ess-Störungen ein.

Mag. Michaela Ferge, IBCLC

Ernährungswissenschafterin

IBCLC - Still- und Laktationsberaterin (International Board Certified Laktation

Consultant)

Essen und Trinken ist unser erstes "Betätigungsfeld" und bleibt

ein Leben lang wichtig. Unser Essverhalten wird massgeblich beeinflusst durch

unsere Familie/Freunde, die Kultur und das soziale Umfeld. Abgesehen davon

hat jeder von uns individuelle Vorlieben, die aus verschiedenen Gründen

variieren können, dies bedeutet - die "einzig richtige Ernährung" gibt

es nicht.

Allgemein kann zwischen Ess-Störungen im engeren (Mager-, Ess-Brech-,

Esssucht) sowie im weiteren Sinne (Frust-Essen, Fernseh-Essen, Langeweile-Essen...)

und verschieden unspezifischen Ess-Störungen bzw. Mischformen unterschieden

werden. Nicht jeder, der einmal eine Diät ausprobiert und abgenommen hat,

ist magersüchtig und nicht jeder, der sich ab und zu voll stopft, leidet

an Ess-Brech- oder Esssucht - aber für manche ist dies der Beginn einer

Ess-Störung. 85 - 95 Prozent der Betroffenen von Ess-Störungen sind

Frauen. Das Verhältnis von erkrankten Männern zu Frauen liegt bei

1:10 bis 1:20, mit steigender Tendenz.

Gemeinsam ist allen Formen von Ess-Störungen, dass mehr Lebensenergie

für Essen, Fasten, Auswählen von Nahrungsmitteln verwendet wird,

als bei "Normal-Essern". Alles dreht sich um Essen und Nicht-Essen,

Schlanksein und Zuvielsein. Das natürliche Gefühl für Hunger/Appetit

und Sattheit ist verloren gegangen bzw. wird nicht beachtet. Ess-Störungen

sind auch eine Reaktion auf unbefriedigende Lebensumstände, mit einem

gestörtem Verhältnis zum Essen und dem eigenen Körper. Sie stehen

ausserdem in Zusammenhang mit dem gesellschaftlichen Zwang, sich mit dem Thema

Gewicht, Idealfigur und Leistungsbewusstsein auseinanderzusetzen. Ess-Störungen

zählen zu den Süchten, die abgesehen von Ess-Sucht (Obesity/Adipositas)

den psychosomatischen Störungen zugeordnet werden. Charakteristisch für

ein Suchtverhalten ist der Kontrollverlust und die Machtlosigkeit - das Essen

bekommt auf diese Weise viele Funktionen, ist jedoch kein "Lebensmittel" mehr.

Die Betroffenen können ihr Essverhalten nicht einfach ändern, wenn

sie die Problematik erkennen. Ich möchte trotzdem allen Mut machen mit

dem Ausspruch von Bärbel Wardetzki "Ess-Störungen sind heilbar.".

Gleichgültig ob Betroffene(r) oder Angehörige(r), suchen Sie sich

professionelle Hilfe, beispielsweise in Form therapeutischer Begleitung oder

einer (Selbsthilfe-)Gruppe. Haben Sie Geduld (mit sich und Ihrer Umgebung)

- Heilung ist nicht von heute auf morgen möglich, genau so ist die Ess-Störung

nicht von heute auf morgen manifest geworden.

Einen Fragebogen zum Ess-Verhalten finden Sie unter www.ess-stoerungen.at ->

Fragebogen

Konkrete Erkennungszeichen für Ess-Störungen (v.a. für Mager-,

Ess-Brech- und Binge Eating (Ess-Sucht ohne Erbrechen)) können

     

     

  • Unzufriedenheit mit der Figur (Bauch, Oberschenkel/Hüfte, Po)
  •  

     

  • Auffallend selbstkritischer Umgang mit dem eigenen Körper und mit der Leistung
  •  

     

  • Vermehrte Beschäftigung mit Nahrungsmitteln, deren Auswahl und Zusammensetzung
  •  

     

  • Betont gesunde und oft fleischlose Ernährung
  •  

     

  • lähmendes Gefühl der Hilflosigkeit/Machtlosigkeit
  •  

     

  • zunehmende soziale Isolation
  •  

     

  • Schlaf- und Wahrnehmungsstörungen, Depression
  •  

     

  • verzerrte Wahrnehmung und falsche Auslegung innerer Zustände
  •  

     

  • ev. körperliche Symptome, wie Schwindelgefühl, Leistungsabfall, Ausbleiben der Regel ...
  •  

     

  • Beschäftigung mit Literatur und Internetseiten zum Thema
  •  

     

sein.

Wichtig ist, dass jegliches Diätverhalten (ausser medizinisch notwendiges)

oder restriktives Essverhalten nicht unterstützt wird - dies beugt allen

Formen von Ess-Störungen vor. Betroffene ansprechen und Dritte hinzuziehen

kann manchmal in der "Einstiegs-Phase" den Krankheitsverlauf aufhalten.

Eine psychotherapeutische Behandlung ist besonders bei längerem Krankheitsbestehen

der beste Weg, rein körperlich-medizinische oder medikamentöse Hilfe

allein genügt nicht!


Was können Sie grundsätzlich bei Ess-Störungen tun?

     

     

  • Holen Sie sich Unterstützung, aber nicht heimlich hinter dem Rücken der Betroffenen.
  •  

     

  • Benennen Sie die Krankheit und durchbrechen Sie die Verleugnungsstrategie - Verleugnen und Bagatellisieren sind suchtverstärkend.
  •  

     

  • Konfrontieren - wenn noch keine Krankheitseinsicht besteht und motivieren Sie - eine professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.
  •  

     

  • Bestehen Sie auf eine regelmässige, medizinische Betreuung.
  •  

     

  • Finden Sie Ihr Maß an Belastbarkeit - opfern Sie sich nicht auf.
  •  

     

  • Geben Sie die Kontrolle auf - Sie können Betroffene nicht wirklich kontrollieren.
  •  

     

  • Achten Sie auf Ihre Grenzen und die der Betroffenen.
  •  

     

  • Haben Sie keine Scheu vor Konflikten - versuchen Sie diese gemeinsam zu lösen.
  •  

     

  • Sprechen Sie miteinander und nicht übereinander.
  •  

     

  • Gehen Sie wertschätzend miteinander um und richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf positive Eigenschaften und Verhaltensweisen von Betroffenen
  •  

     

  • Vermeiden Sie es, sich mit Schuldgefühlen zu plagen.
  •  

     

Was kann Ess-Störungen vorbeugen?

     

     

  • Diskussionen über Schönheit und das gängige Schönheitsideal.
  •  

     

  • Aufzeigen der Geschlechtsunterschiede in der biologischen Entwicklung bzw. der unterschiedlichen Frauen- und Männerrollen
  •  

     

  • Informationen über Sinn, Unsinn, sowie Folgen von Diäten
  •  

     

  • Genuss und Sucht - wo liegt der Unterschied
  •  

     

  • Umgang mit Problemen und Krisen
  •  

     

  • Selbstwert stärken
  •  

     

  • Essgewohnheiten bewusst machen
  •  

     

  • Über Konflikte sprechen (aber nicht beim Essen!)
  •  

     

  • Essen ist keine Leistung und sollte nicht als Trostpflaster zur Stressbewältigung eingesetzt werden.
  •  

     

Symptomfrei – was heißt das?

Selbstwert ist nicht mehr alleine vom Gewicht abhängig. Wichtig ist auch

die Akzeptanz von Körper und Gewicht als Bestandteil der eigenen Persönlichkeit.

Gelegentliche Rückfälle in alte Essmuster werden nicht mehr als Katastrophe

gewertet und Betroffene lernen wieder Essen und Trinken zu geniessen.

Hinter jeder Sucht stand anfänglich der Wunsch,

dass eine heimlich, unbewusste Sehnsucht erfüllt werde.

Literatur:

     

     

  • Barbara Buddeberg-Fischer (2000): Früherkennung und Prävention von Essstörungen - Eßverhalten und Körpererleben bei Jugendlichen
  •  

     

  • Frauengesundheitszentrum Kärnten (2003): Ess-Störungen - Hilfe für Angehörige, LehrerInnen und pädagogische Fachkräfte
  •  

     

  • Monika Gerlinghoff und Herbert Backmund (2000): Essen will gelernt sein - Ess-Störungen erkennen und behandeln
  •  

     

  • Brett Valette (1990): Suppenkasper und Nimmersatt - Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen
  •  

     

  • Bärbel Wardetzki (2001): Iss doch endlich normal
  •  

     

  • Renate Göckel (2002): Warte nicht auf schlanke Zeiten
  •  

     

  • Weitere Literatur zum Thema unter www.ess-stoerungen.at -> Nützliches -> Bibiliothek
  •  

     

Arbeitsunterlagen für den Unterricht

     

     

  • Unterlagen für Schulen zum Thema Ess-Störungen finden Sie unter www.give.or.at
  •  

     

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
01.07.2001
Link
https://www.edugroup.at/bildung/detail/hungern-und-essen-fuer-die-seele-ess-stoerungen.html?parentuid=108973&cHash=a0be826754549a495658faafde8604f7
Kostenpflichtig
nein