Heilpädagogischer Kongress 2018

Beim 22. Internationalen Heilpädagogischen Kongress in Vöcklabruck stand das Thema Achtsamkeit im Zentrum. In Workshops, persönlichen Gesprächen und Vorträgen wurde die achtsame heilpädagogische Arbeit von allen Seiten beleuchtet.

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In Zeiten von Stress und "Multibelastung" wollten die Organisatoren des Kongresses das Thema Achtsamkeit in den Mittelpunkt stellen. "Einerseits achtsam dem Du gegenüber, sprich dem Klienten, dem Schüler, dem Kind, dem Jugendlichen gegenüber, aber auch achtsam uns selbst gegenüber, dass wir uns nicht auspowern, damit wir bei uns bleiben, damit wir gut für uns sorgen, damit wir auch gut mit unseren Kindern [...] sein können", so Claudia Girardi von der Heilpädagogischen Gesellschaft OÖ.

Am Programm standen zahlreiche Vorträge und Workshops, wie zum Beispiel von Martin Schenk von der Armutskonferenz, der über die Auswirkungen von sozialer Ungleichheit sprach oder der Vortrag von Autorin Dr. Martina Leibovici-Mühlberger, die über "Tyrannenkinder" referierte.

Mag. Martin Schenk ist Psychologe, stv. Direktor der Diakonie und Mitbegründer der „Armutskonferenz“ und spricht in seinem Vortrag über soziale Ungerechtigkeiten und gleiche Startchancen, vor allem im Bezug auf Heranwachsende. Schenk zieht hier einen Vergleich mit einem Brettspiel heran. Welche Spielregeln gibt es? Wie schaffen es Brettspielmacher, den Startvorteil auszugleichen? Nämlich dass nicht der, der beginnt, auch gleich das Spiel gewinnt? Übertragen in das echte Leben geht es also um die Schaffung von Chancengleichheit für alle, egal ob arm oder reich bzw. soziale Oberschicht oder Unterschicht.

Gravierend sind beispielsweise die Auswirkungen der Abhängigkeit von Einkommensungleichheit und sozialen und gesundheitlichen Problemen. "Je stärker die soziale Schere in einem Land auseinandergeht, desto schlechter ist in dem jeweiligen Land die Lebenserwartung, desto mehr Leute sitzen im Gefängnis, desto höher die Teenagerschwangerschaftsraten, desto höher die Säuglingssterblichkeit, desto höher das Risiko für psychische Erkrankungen", zeigt Schenk auf.

Weiters fühlen sich Menschen aus sozial schlechteren Verhältnissen öfter nervös, niedergeschlagen, traurig und müde. Das alles wirkt sich auf die Kinder und Jugendlichen aus. Darum brauchen Kinder umso mehr Freundschaften und tragfähige Beziehungen, Selbwirksamkeit, Anerkennung und Respekt. 

Im Interview sprechen wir mit dem Sozialexperten über die Auswirkungen von sozialer Ungleichheit bzw. Armut auf Kinder, welche Hilfestellungen Schulen und Kindergärten leisten können und welche gesellschaftlichen Veränderungen es bräuchte damit alle Kinder dieselben Chancen und Möglichkeiten haben. Für Schenk sind vor allem drei Dinge von großer Bedeutung: Leistbares Wohnen, der Ausbau von Therapieeinrichtungen und integrativere Schulen.

2016 schrieb die Ärztin, Pyschotherapeutin, Erziehungsberaterin und Autorin Dr. Martina Leibovici-Mühlberger mit "Wenn die Tyrannenkinder erwachsen werden - Warum wir auf die nächste Generation nicht zählen können" einen Bestseller. In diesem Jahr veröffentlichte sie den nächsten Teil: "Der Tyrannenkinder Erziehungsplan - warum wir für die Erziehung ein neues Menschenbild brauchen und warum die Tyrannenkinder zu den Besten gehören können".

"Sozioemotional und durchwegs auch schon in physischen Parametern geht es vielen unserer Kinder nicht gut", so Leibovici-Mühlberger.

Vor allem die Überbehütung und Über-Förderung und die Fokussierung der Eltern auf die Kinder verursachen in späteren Jahren Probleme wie zum Beispiel Aufmerksamkeitsmängel, Konzentrationsschwächen, wenig Ausdauer und Durchhaltevermögen, geringe Frustrationstoleranz im Lernprozess, geringe Anstrengungsbereitschaft, permanente Reizsuche oder Neigung zur passiven Unterhaltung. Dies führt zu einer mangelhaften Ausbildung an "Sekundärtugenden": Treue, Fleiß, Ordnung, Zuverlässigkeit, Konstanz oder Konsequenz. Dies ist laut der Psychologin darauf zurückzuführen, dass "sie bisher ja immer nur unterhalten worden sind" und sieht diese Kinder im Stich gelassen von ihren Eltern.

Beim Kongress referierte Dr. Ewald Feyerer über die Zielsetzungen inklusiver Modellregionen (IMR) aus Governanceperspektive über den Ist-Stand und über Verbesserungsmöglichkeiten. Per Definition muss "das Ziel einer IMR sein, die inklusive pädagogische Qualität und den Support an Regelschulen so zu heben, dass aussondernde Einrichtungen möglichst nicht mehr gebraucht werden". Es gibt zwar zusätzliche Ressourcen für Inklusionsmaßnahmen, aber es bestehe vor allem die Strategie der "Freiwilligkeit innerhalb der bestehenden Ressourcen", was widerum hieße, dass die Entscheidenden Fragen nicht gestellt werden, wie zum Beispiel die Strukturen verändert werden müssten, damit wirklich alle Kinder am Bildungsprozess teilnehmen können. Abschließend gibt Feyerer Vorschläge für zukünftige unterstützende Maßnahmen, wie keine Neuaufnahmen in Sonderschulen, solide Unterstützungsstrukturen für Schulen aufbauen oder assistierende Technologien einführen.

Seit dem Jahr 2015 wird in den Bundesländern Kärnten, Steiermark und Tirol offiziell das Konzept der Inklusiven Modellregion erprobt. Das BIFIE Graz betreibt im Auftrag des Bildungsministeriums die formative Evaluation dieser Erprobung. Mag. Erich Svecnik vom BIFIE  erklärt in diesem Vortrag die formative Evaluation und präsentiert erste Ergebnisse.

Bei der Gesprächsrunde des Kongresses sprachen

- Dr. Heidemarie Blaimschein (Landesschulinspektorin OÖ)
- Barbara Hofer (Elterninitiative „Rettet die I-Klassen“)
- Mag. Martin Netzer (Bundesministerium Bildung, Wissenschaft und Forschung)
- Dr. Germain Weber (Präsident Lebenshilfe Österreich)
- Franz Spiesberger (Obmann Heilpädagogische Gesellschaft OÖ)

über die Bedeutung, den Ist-Stand und die Zukunft der Inklusion und Bildung in Österreich. Ein brennendesThema waren vor allem die Integrationsklassen, die im nächsten Jahr auslaufen werden.

"Inklusion bringt für alle Kinder eine gewisse Chancengerechtigkeit, ihre Talente wirklich gemeinsam gefördert zu bekommen, gemeinsam voneinander zu lernen und hilft beim Aufbau einer Gesellschaft, die ein guten sozialen Zusammenhalt hat", so Germain Weber.

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