Das Leben annehmen

Unsere Verhaltensweisen (auch die neurotischen) sind weitgehend erlernt, und können wieder verlernt werden. Das Verhalten ist eine Funktion von vorangehenden und von nachfolgenden Bedingungen, von anlagebedingten bzw. erworbenen körperlichen und seelischen Dispositionen. Persönlich gewünschtes...

Buchtitel: Das Leben annehmen. So hilft die Akzeptanz- und Commitmenttherapie (ACT).
Autorinnen: Wengenroth M
Verlag: Huber
Erschienen: 2008,2011

...Verhalten soll erlernt, negativ bewertetes verlernt werden. Verhalten kann durch Signalreize ausgelöst werden. Verhalten kann auch durch Konsequenzen gelernt oder verlernt werden. Schließlich lernen wir auch von Modellen. Die Verhaltenstherapie strebt ein wissenschaftliches (d.h. nach Gesetzmäßigkeit, Beobachtbarkeit, empirische Überprüfung suchendes) Vorgehen an, schließt aber nicht die Existenz von geistigen, psychischen Faktoren aus, sondern berücksichtigt die Kognitionen. Die „vertikale“ Analyse vertieft die horizontale Vorher-Nachher-Betrachtung und sucht nach über die konkrete Situation hinausgehenden Verhaltensmustern, Regeln, Zielen, Lebenseinstellungen, Plänen . Lebens-, Beziehungs-, Selbst-Schemata werden von konkreten Verhaltensweisen ausgehend induktiv erschlossen und deduktiv in ihrer Bedeutung für das konkrete Verhalten analysiert. Verhalten ist eine Funktion von Lebenseinstellungen, Plänen, Regeln, Schemata. Und hier spielen Beziehungserfahrungen, Emotionen eine große Rolle.

Man sieht, die Verhaltenstherapie hat sich in drei großen Wellen weiterentwickelt: Vom Verhalten und seiner Konditionierbarkeit (1.Welle) zu den Kognitionen (2.Welle) bis hin zu den Emotionen und der Betonung der Beziehung (3.Welle).Kognitionen sind "Innere Vorgänge, die mit dem Aufnehmen und der Verarbeitung von Informationen zu tun haben - Wahrnehmen, Behalten, Denken, Lernen und Sprechen....Kognitiv ausgerichtete Therapeuten versuchen, ihren Patienten dadurch zu helfen, dass sie unrealistische Gedanken und Einstellungen verändern und durch angemessene und insgesamt optimistischere Denkweisen ersetzen." (S 33). Diese zweite Welle der Verhaltenstherapie, ausgelöst durch die kognitive Wende (von einer das Nichtbeobachtbare nur als black box betrachtenden Haltung zur Berücksichtigung der "inneren Vorgänge") wurde ihrerseits abgelöst durch die dritte Welle der Verhaltenstherapie. Diese nimmt die Emotionen, die Beziehung , die Achtsamkeit, das Streben nach sinnerfülltem Leben und die Selbstgestaltung ernst. Dazu schreibt Thomas Heidenreich im Vorwort: " an die Stelle der Modifikation von Verhalten und Gedanken, die die ersten beiden Phasen der Verhaltenstherapie charakterisiert, tritt eine starke Orientierung...an bereitwilliger Akzeptanz auch schmerzhafter Dinge (acceptance) bei gleichzeitig unbedingten Einsatz für persönliche Werte (commitment)--" (S 12). Es "wird versucht, einen Abstand zu Gedanken herzustellen, der über den in der kognitiven Therapie erstrebten Abstand deutlich hinausgeht - nicht mehr die Überprüfung der Sinnhaftigkeit einzelner Gedanken steht im Zentrum, sondern die Einsicht, dass es sich - welchen Inhalts auch immer - um Gedanken handelt und nicht um die Realität." (ebd). Die Frage nach dem Selbst und nach dem Sinn schließt sich nahtlos an. Diesem Aufbau der Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) entspricht der Inhalt des Buches: Zunächst erfolgt ein Überblick über zentrale Anliegen des Buchs, dann wird auf unser wunderbares, aber auch fehleranfälliges und leidproduzierendes Gehirn, die Denkmaschine, hingewiesen; es folgt ein Kapitel über Akzeptanz und Bereitschaft ( damit ist gemeint, "eine wohlwollende, annehmende und interessierte Haltung gegenüber Gefühlen, Gedanken, Erinnerungen und Empfindungen." (S 86). Sehr viele originelle Ideen enthält das nächste Kapitel, bei dem es um den Abstand zu Gedanken geht, die kognitive Trennung, Defusion. Z.B. ist einer dieser kreativen Impulse die sogenannte Cyberdefusion. Man schreibt einen inneren Satz auf, der eine Überzeugung beinhält, von der man sich trennen möchte, und lässt diesen Satz durch ein Übersetzungsprogramm in irgendeine Fremdsprache laufen, und das Ergebnis wieder rückübersetzen ins Deutsche. Dass Ergebnis sind oft linkische, komische Satz-und Wortgebilde, von denen man sich leicht lösen kann.

Das fünfte Kapitel bringt Anregungen zur Entwicklung von Achtsamkeit, der bewussten Präsenz. Kapitel 6 befasst sich mit der Frage."Wer bin ich?", Kapitel 7 rückt die Wichtigkeit der Wertorientierung in den Mittelpunkt des Strebens nach einem guten Leben. Kapitel 8 wendet sich dem Commitment zu, dem Ernstnehmen seiner eigenen Bestrebungen. Das abschließende Kapitel bringt Fallberichte zur Veranschaulichung des ACT-Konzeptes.

Auch für den fachlich versierten Leser bietet das Buch viele originelle Denk- und Behandlungsanstöße (der Rezensent hat beim Lesen begeistert registriert, dass ihm bei den Konzepten der ACT Patienten aus laufenden Therapien einfielen, bei denen die Ideen fruchtbar zu werden verhießen).

Das Buch ist in einer freundlichen, menschlichen Art und Weise geschrieben, die ohne Fachjargon auskommt und sich an alle interessierten Leser - ob Therapeuten oder nicht - mit einer sehr persönlich gehaltenen Adressierung wendet. Es werden hilfreiche Denkanstöße gegeben, eindrucksvolle bildhafte Unterstützungen des Gesagten beigefügt. Abgerundet wird jedes Kapitel durch eine Quintessenz!

Das Buch schließt mit der Empfehlung, sich helfen zu lassen, wenn es notwendig ist, und dabei sich unermüdlich gegen blockierende und entmutigende Denkmaschinen-Argumente ("das kann ich nicht" etc.) zu zeigen; vielleicht gelangt man da oder dort in eine Sackgasse und wird den Weg aus ihr heraus suchen." ´Auch, wenn dieser Weg wieder in eine Sackgasse führen könnte? ` fragt der Verstand vielleicht. Ja, auch dann, lieber Verstand. Auch dann." (289).

Man darf hinzufügen: Das Lesen dieses Buches führt in keine Sackgasse!

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
29.12.2011
Link
https://www.edugroup.at/bildung/paedagogen-paedagoginnen/rezensionen/detail/das-leben-annehmen.html
Kostenpflichtig
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