Heilkunst. Mut zur Menschlichkeit
Lown schildert seine Lebenserfahrungen auf lehrreiche und zugleich spannende Weise.
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Verlag: Stuttgart Schattauer Reihe Wissen und Leben utor: Lown B
Erschienen: 2015
Zum Inhalt
Der Autor, 1921 geboren, Arzt, Erfinder des Defibrillators und Friedensnobelpreisträger, hat in diesem Buch die in den letzten 5 Jahren im Internet veröffentlichten Essays zusammengefasst und durch Dialoge mit seiner Enkelin Melanie, die selbst im Gesundheitswesen tätig ist, ergänzt. Lown anerkennt die Fortschritte der modernen Medizin wie etwa Herztransplantate, Robotergliedmaße etc. "Beunruhigend ist jedoch der Faust´sche Pakt, der sich im Dickicht des Establishments des Gesundheitswesens verbirgt. Wenn die Märkte die Medizin beherrschen, ist der Patient lediglich ein Produkt." (Seite VIII). Lowns Anliegen: "eine breite Öffentlichkeit sowie den ärztlichen Berufsstand daran zu erinnern, dass die Medizin eine Berufung, nicht aber eine Geschäftsangelegenheit ist." (Seite IX). Der Chirurg Bernd Hontschik, der selbst eine Buchreihe mit dem Titel medizinHuman herausgibt, attestiert Lown:" Lown ist ein berühmter Arzt. Lown ist ein begeisterter Wissenschaftler. Lown ist politisch, weil er vom ganzen Herzen Arzt ist. Und: Lown ist ein begnadeter Erzähler." (Seite VI). Im ersten Teil, der die Überschrift besitzt: Mut. Hinsehen, Begreifen, Verändern, setzt sich Lown mit unterschiedlichen Fragen auseinander, z.B. Medizinische Technologie - eine tödliche Begegnung; schwarzes Blut darf weiße Menschen nicht kontaminieren? Rassismus und kein Ende; Salz: Verderbnis oder Lebenselixier?
In einem zweiten Abschnitt geht es um Menschlichkeit. Zuhören, Berühren, Heilen. Lown schildert seine Lebenserfahrungen auf lehrreiche und zugleich spannende Weise. Unvergesslich bleibt seine Mahnung, dass Worte töten können: Ein Arzt betreut eine Patienten schon Jahrzehnte lang, sie leidet unter einer Verengung (Stenose) der Trikuspidalklappe. Eines Tages hat dieser leitende Arzt nur mehr wenig Zeit für die Visite. So eilt er am Bett der ihn anbetenden 40jährigen Dame vorbei und ruft den mitvisitierenden Jung- und Gastärzten zu: "Dies ist ein Fall von TS" (die Kurzbezeichnung für die Trikuspidal-Stenose). Daraufhin verfällt die besagte Dame rapid und gibt an, dass sie laut dem Doktor TS habe, eine terminale Situation. Die Patientin ist von ihrer Deutung der Buchstaben TS überzeugt. Die Aufklärung kann das Verhängnis nicht mehr stoppen, die Lungen füllen sich mit Flüssigkeit, die Patientin stirbt innerhalb weniger Stunden.
Recht aufschlussreich ist Lowns Überzeugung, dass die Hauptklage, mit der sich Patienten einbringen, oft nicht das eigentliche Problem benennt. Mit einer Analogie hilft Lown, das Problem der Hauptklage zu verstehen: Stellen wir uns vor, wir wären Theaterkritiker und müssten über ein Theaterstück schreiben, das wir nicht gelesen haben und von dem wir nur die Eintrittskarte und somit nur den Titel der Veranstaltung und das Aufführungsdatum kennen.
Die Rede kommt auf die moderne Test-Technologie, die das Sich-Zeit-Nehmen und Zuhören verdrängt. Lown erklärt, warum eine Berührung tausend Tests wert ist, er beschreibt faszinierend, wie viel ein Händedruck verrät: Diagnose und Behandlung. Sein Engagement und sein Credo bringt Lown am Schluss dieses besonderen Buches ein, wenn er schreibt: "Ärzte reduzieren Patienten auf ihre Krankheit und lassen sich über die Erkrankung mithilfe von Statistiken aus. Patricia lehrte mich, dass jeder einzelne Patient eine statistische Ausnahme ist." (Seite 307). Es gibt außergewöhnliche Menschen, die Geschichte schreiben. Lown tröstend: "Die meisten von uns können sich jedoch in nur kleinen guten Taten engagieren. Wir sollten uns von der Tatsache trösten lassen, dass das Vorwärtsdrängen der Geschichte und die Entfaltung einer empfindsameren Welt weitestgehehend von den winzigen guten Taten herrühren, die von einer sehr großen Zahl ganz gewöhnlicher Menschen vollbracht werden." (Ebd.) Daher lautet die Botschaft dieses Buches: Es gibt keinen Grund zum Ressentiment, sondern für jeden die Chance zu einer Lebensführung, die geprägt ist vom Mut zur Menschlichkeit!