Schematherapeutisch basierte Supervision
Die Autoren stellen ein komplexes Modell vor: Die Grundlage für alle weiteren Analysen bieten fünf postulierte Bedürfnisse, nämlich die nach Bindung, Autonomie, freier Bedürfnismitteilung, Spontaneität und der Möglichkeit, sich selbst seine Grenzen zu setzen... Ein empfehlenswertes Buch!
Buchtitel: Schematherapeutisch basierte Supervision.
AutorInnen: Neumann A, Roediger E, Laireiter A-R u Kus C
Verlag: Göttingen: Hogrefe
Erschienen: 2013
Zum Inhalt
Die Autoren stellen ein komplexes Modell vor: Die Grundlage für alle weiteren Analysen bieten fünf postulierte Bedürfnisse, nämlich die nach Bindung, Autonomie, freier Bedürfnismitteilung, Spontaneität und der Möglichkeit, sich selbst seine Grenzen zu setzen. Wenn diese Grundbedürfnisse verletzt oder missachtet werden, wehrt sich der Mensch intrapsychisch und interpsychisch.
Zunächst werden Probleme in der Lebensbewältigung durch jene sogenannten Bewältigungsreaktionen zu lösen versucht, die biologisch als Kampf und Flucht angelegt sind und in vierfacher Weise erfolgen: durch Unterordnung, passive Gefühlsvermeidung, aktive Selbstberuhigung und Überkompensation. Diese Bewältigungsreaktionen werden maladaptiv, wenn sie im Übermaß oder in starrer Form angewendet werden.
Die Beziehungserfahrungen im Umgang mit ihren Bedürfnissen „brennen“ sich neuronal ein und werden so zu Persönlichkeitszügen. Die Bedürfnisverletzungen führen zur Bildung intrapsychischer Schemata (der Organismus stellt gewissermaßen eine Ordnung her). Die aus Beobachtung gewonnenen Schemata lassen sich in fünf Domänen gliedern: Abgetrenntheit und Ablehnung, Beeinträchtigung von Autonomie und Leistung, Beeinträchtigungen im Umgang mit Begrenzungen, übertriebene Außenorientierung und Fremdbezogenheit und Übertriebene Wachsamkeit und Gehemmtheit. Zu jeder Domäne gibt es mehrere Schemata, ingesamt 18. Diese sind teilweise direkte Reaktionen auf die Verletzung der Grundbedürfnisse, teilweise bereits Bewältigungsversuche im Umgang mit den Bezugspersonen.
Die oft rasch wechselnden bzw. multiplen Schemaaktivierungen, die zudem nur als intrapsychischer Hintergrund erschlossen werden können, werden mit dem Konzept der Modi leichter fassbar. Diese Erlebniszustände und Verhaltenstendenzen zeigen in der Interaktion, dass bestimmte Beziehungserfahrungen aktiviert werden. Primär emotionale Reaktionen werden mit „Kindmodi“ bezeichnet, aktivierte Bewertungen mit dem Ausdruck „(innere) Elternmodi“ versehen, die reife Reaktion erhält die Bezeichnung „(Gesunder, integrierter) Erwachsenermodus“.
Alle diese Charakteristika eines komplexen Modells lassen sich in einer Modus-Landkarte übersichtlich anordnen – sowohl eine Landkarte für den Therapeuten, wie für den Patienten. Man erfasst damit, was im Patienten bzw. Therapeuten intrapsychisch und interpsychisch in Bewegung gesetzt wurde. Das Wechselspiel zwischen Therapeut und Patient lässt sich als Paardynamik in einem Modus-Zirkel beschreiben: Sowohl Therapeut wie auch Patient können entweder Unterordnung, Vermeidung oder Überkompensation als Bewältigungsreaktion bzw. –modus zeigen, woraus sich 9 verschiedene Interaktionsdynamiken ergeben. Z.B. kommt es bei beidseitiger Unterordnung zu einer freundlichen, aber konfliktvermeidenden Therapiebeziehung. Oder. Die beidseitige Überkompensation führt zu einem Machtkampf, der letztlich die Therapie unmöglich macht.
Die vorgestellte Idee besteht nun darin, dieses Konzept zur Basis von supervisorischer Tätigkeit zu machen. Der Supervisand schildert die Problematik. In der Klärungsphase wird das Modusmodell des Patienten und das des Therapeuten eruiert und zur Basis der Lösungsphase gemacht. Beispiele zeigen Schwierigkeiten und Lösungen z.B. bei einem Aufopferungsmodus des Therapeuten oder bei einem Beschützermodus.
Im praktischen Teil des Buches werden viele wichtige Fragen berührt, z.B. auch der Einsatz des Modells in der psychotherapeutischen Ausbildung. Soweit das Konzept. Einige Anmerkungen seien dem Rezensenten erlaubt. Zunächst eine nur marginale. So findet sich eine Formulierung folgender Art: „Youngs Konzept am ähnlichsten ist die Unterteilung der Person gemäß der Transaktionsanalyse nach Eric Berne.“ (Seite 41). Der Satz müsste umgekehrt formuliert werden, um zum Ausdruck zu bringen, dass Berne seinen Ansatz bereits eine Generation vor Young entwickelt hat. Überhaupt scheinen manche Ideen manchmal meteorgleich vom Himmel zu fallen. Man entdeckt aber bald, dass sie nicht ansatzlose Steingebilde, sondern lebendige Pflanzen mit langen, alten Wurzeln sind. Dementsprechend weisen die Autoren zwar korrekterweise auf die lange wissenschaftliche Tradition der Unterteilung in Person- oder Ich-Anteile bzw. Ich-Zustände hin. An anderen Stellen wäre das aber ebenso sinnvoll gewesen, z.B. beim erlebnisaktivierten Lernen (Seite 35f) der Hinweis auf Gendlins Focusingansatz, beim auf Seite 40f beschriebenen Modus-Modell (wobei Modus vorherrschende Erlebniszustände und dazugehörige Verhaltenstendenzen meint) der Hinweis auf den Lebensstil und die Lebensleitlinien nach Alfred Adler, bei der Supervisionsgruppenarbeit (Seite 88f) der Hinweis auf die nach Balint benannte Balintgruppe als Fallarbeit mit vertiefender Beziehungsanalyse, beim Modus-Zirkel auf Riemanns Analyse der Grundformen helfender Partnerschaft.
Bezüglich Ich-Anteilen steht zur Diskussion, ob die Bezeichnung mit Kind-Modus, Eltern-Modus und Erwachsenen-Modus von Vorteil ist. Nach Meinung des Rezensenten wären die Bezeichnungen „Primäre emotionale Reaktion“, „Aktivierte Bewertung“ und „integrierter Modus“ flexibler und stimmiger. Man denke nur an den Fall einer Kindertherapie, wo das Kind, um geheilt zu werden, im Erwachsenen-Modus landen müsste.
Die Autoren sprechen auf Seite 88f von der „Gruppensupervision“, bei der die einzelnen Teilnehmer Supervision auch kollegial erfahren, weil sich die Gruppenmitglieder in den jeweils vorgestellten Fall hinein versetzen und praktische Vorschläge einbringen. Das wäre aber eigentlich nach Meinung des Rezensenten die Beschreibung der „ Supervisionsgruppe“, während die „Gruppensupervision“, von der die Autoren sprechen, eine Supervision der Gruppe, des Teams ist, wobei Kooperation, Umgang miteinander etc., sowie die Prozess- Dynamik der Beziehungen im Fokus der Supervisionsarbeit liegen.
Und nochmals: Eine nur andeutungsweise Erwähnung des in der Tradition von Virginia Satir geschriebenen Klassikers „Kopfbewohner oder: Wer bestimmt dein Denken? von Mary McClure Goulding“ hätte ein abgerundeteres Bild ergeben.
Eher kurz fallen die auf Seite 10 angekündigte schematherapeutische Beleuchtung der Persönlichkeit des Supervisors und die kritische Reflexion der Interaktionsfallen mit Supervisanden auf Seite 86ff aus.
Insgesamt eröffnet sich aber mit dem dargestellten Konzept ein sehr ansprechender Weg zu einer Operationalisierung des Supervisionsprozesses! Und ein anregender Impuls für weitere kreative Nutzungen des Modells: Man denke z.B. an eine Supervisionsgruppe, bei der – in Balintgruppenmanier – die geschilderte Fallproblematik sich in den unterschiedlichen Rezeptionen der Teilnehmer spiegelt und damit dem Proponenten eine Einordnung seines eigenen Erlebens ermöglicht. Wie distinkter und anregender würde dieser Vergleich erfolgen, wenn jeder Teilnehmer seine Rezeption des Falles aufgrund seiner eigenen Modusbefindlichkeit analysierte.
Oder man denke an eine Gruppensupervision mit schematherapeutischer Basierung: Die komplexe Gruppendynamik mit dem Modus-Zirkel abzubilden, wäre eine schwierige, aber reizvolle Sache. Oder die Abgleichung zwischen der Rolle der einzelnen Gruppenteilnehmer und ihrer Modus-Landkarte.
Das vorliegende Buch kann einem breiten Leserkreis empfohlen werden, der über die Supervision und Ausbildung weit hinaus reicht! Die verständliche Form der Mitteilung wichtiger Inhalte ermöglicht es, ohne therapeutischen Vorkenntnisse von den vorgestellten Konzeptanregungen zu profitieren! Für Fachleute in Supervision und Psychotherapie bietet das Buch viele Anreize für den Versuch, die Schemabasierung auch in das eigene therapeutische Arbeiten zu integrieren!