Soziologie. Studienbuch für soziale Berufe.
Das Buch liest sich flüssig und enthält viele Aspekte, die ein Weiterdenken und eine praxisbezogene Anwendung schmackhaft machen...
Buchtitel: Soziologie. Studienbuch für soziale Berufe.
AutorInnen: Biermann B, Bock-Rosenthal E, Doehlemann M, Grohall K und Kühn D
Verlag: E.Reinhardt Verlag, 6. Auflage
Erschienen: 2013
Zum Inhalt
Das Besondere dieses Werkes wird ersichtlich, wenn man seinen Aufbau mit dem anderer Lehrbücher der Soziologie vergleicht. So gibt es Einführungen, die längsschnittartig die Entwicklungswege der Soziologie nachzeichnen. Andere beschreiben die unterschiedlichen Gegenstandsbereiche wie z.B. Gleichheit und Differenz, Globalisierung und Wandel. Wieder andere Darstellungen fokussieren die Methoden, Modelle und Theorien soziologischer Erklärungen und die anthropologischen Grundlagen.
Das hier vorliegende Buch ergänzt die Palette der oben angeführten Perspektiven um den professionellen Aspekt: Im ersten von zwei Hauptteilen geht es um Begriffe, Theorien und empirisches Wissen für die Soziale Arbeit, es werden also Theorien gesellschaftlicher Problembereiche dargelegt: Sozialisation und Familie, junge und ältere Menschen, abweichendes Verhalten und soziale Kontrolle, soziale Ungleichheiten, werden nach einer anfänglichen Erläuterung soziologischer Denkansätze und Streitfragen zum Thema gemacht. Einige Beispiele für die interessanten und vielseitigen Inhalte: das Rollenkonzept, übersichtlich und herausfordernd dargestellt in einem Klassifikationsschema, das die personbezogene oder organisationsbezogene oder situtionsbezogene Herkunft von Normen in einer Matrix in Beziehung setzt zur Art der Normen, ob Gestaltungsnormen, Qualitätsnormen oder Vollzugsnormen. (Seite 41f). Ein weiteres Beispiel: Bilder von der Jugend (Seite 110 ff): Jugend als Hoffnungsträger, als Gefährdung und Gefahr, als Zeit des Kampfes um das innere Gleichgewicht (z.T. auch gekennzeichnet von der Suche nach Identität (vom diffusen Zustand und der krisenhaften Suche bis hin zur Auseinandersetzung mit tradierter Identität bis hin zur letztlich erarbeiteten Identität und zur Frage der individuellen Auffindung von persönlichen Lebensaufgaben (Selbstfindung, Beziehungsaufnahme und -gestaltung, Berufsorientierung (Seite 120ff).Beispielhaft für die Problemlösungsansätze der Sozialen Arbeit sind auf Seite 162ff drei Reaktionsformen auf typische Probleme beschrieben: Man kann ein Problem in der Problemkategorie soziale Ungleichheit sehen und sozialstrukturverbessernde Initiativen ergreifen; oder man rechnet ein soziales Problem nicht als Fehl-Ausstattung, sondern als Fehl-Integration und setzt sozialpädagogische und erzieherische Maßnahmen. Oder man sieht ein Problem als Fehl-Anpassung, abweichendes Verhalten, das entsprechende Lösungen erfordert. Ein wichtiges Thema ist die soziale Ungleichheit. Ihre Dimensionen werden auf Seite 206f beschrieben: Verschiede Grade des Zugangs zur Elite, zu kollektiven Gütern, zu Informationen und kulturellen Gütern, zum Arbeitsmarkt etc. Es werden aber auch distributive Ungleichheit, distributive, normative, symbolische (Prestige etc.) u. a. m. angeführt. Interessant auch die verschiedenen prozentual erfassten Milieus und Lebensstile in Deutschland, etablierte, postmaterielle, traditionsverwurzelte, Experimentalisten, u. v. a. m. (Seite 224ff).
Im zweiten Hauptteil geht es um professionsbezogene Aspekte: Institutionalisierung und Professionalisierung Sozialer Arbeit, administrative Strukturen und Handlungsformen im Sozialwesen, Grundlagen der Gruppensoziologie und Gemeinwesenarbeit. Aus der Fülle seien herausgegriffen die idealtypischen Modelle der Orgainsaion (Seite 318ff): Das Bürokratie-Modell In der Fachsprache ist Bürokratie kein Schimpfwort, sondern die Bezeichnung für ein rationales, höchst effizientes Verwaltungsmodell, das u. a. durch ein festes Regelsystem und formalisierte Abläufe gekennzeichnet ist. Das teamartig-professionelle Organisationsmodell ist als Kontrapunkt zum Bürokratiemodell, zu seiner vertikalen Struktur und Unpersönlichkeit zu verstehen und zeichnet sich u. a. aus durch Eigenständigkeit der Arbeitsabläufe, netzartige Informationswege. Schließlich wird das Neue Steuerungsmodell erwähnt, das die Übernahme betriebswirtschaftlicher Managementtechniken versucht mit verstärkter Dienstleistungs- und Kundenorientierung und weitgehende Dezentralisierung der Aufgaben. Letzte Entwickung derzeit ist eine New Public Governance, das einen situationsbezognen Mix an Stuerungsinstrumenten vorsieht, an dem Staat , Wirtschaft und Zivilgesellschaft mitarbeiten. Es geht um die Suche nach pragmatischen Handlungs- und Interaktionskonzepten.
Das abschließende Kapitel widmet sich Fragen wie Grundannahmen der Gruppentheorie, Konflikte in Gruppen, Großgruppen und Netzwerke, soziologische Aspekte der Gemeinwesenarbeit. Interessant z.B. die verschiedenen Formen der Kommunikationsnetze (Seite 387), die emotionalen Strukturen (Seite 388ff) mit wichtigen Erörterungen von Verantwortung, Vertrauen, Takt, Scham, Peinlichkeit, soziale Kompetenz.
Die angeführten Beispiele enthalten keine Bevorzugungsbewertung, sondern sollen die Vielzahl der aufgegriffenen Themen belegen. Das Buch liest sich flüssig und enthält viele Aspekte, die ein Weiterdenken und eine praxisbezogene Anwendung schmackhaft machen. Das Konzept der Autoren ist voll aufgegangen:"Die Beschäftigung mit unserem Fach lädt zu eigenständigem Denken und zu soziologischen Entdeckungen ein" (Seite 11, Vorwort zur sechsten Auflage).