Praxishandbuch Traumapädagogik. Lebensfreude, Sicherheit und Geborgenheit für Kinder und Jugendliche

Das Praxishandbuch erfüllt die Erwartungen voll und ganz, sowohl die Grundlagen betreffend als auch in Hinblick auf die vielen Tipps und Anregungen, denen man anmerkt, dass sie praxiserprobt sind. Das Buch ist für alle, die mit Traumatisierungen professionell zu tun haben, eine wahre Fundgrube!

Autoren: Baierl M u Frey K (Hg)
Verlag: Vandenhoeck & Ruprecht :Göttingen
Erschienen: 2014

Zum Inhalt

 

Das Buch hat zwei Teile: Teil A liefert Grundwissen und Grundinterventionen. Martin Baierl geht darin in acht Kapiteln auf wesentliche Fragen der Traumapädagogik ein:
Was ist Traumatisierung und was sind Traumafolgen, wie steht es um Werte und Haltungen in der Traumapädagogik, welche fünf Orte spenden Sicherheit, wie kann man traumapädagogisch relevante Diagnosen durchführen, welche konkreten Techniken und Methoden stehen zur Verfügung, wie sieht die Eltern- und Familienarbeit in diesem Bereich aus, welche Hilfe ermöglicht die Vernetzung? Teil A wird abgerundet durch den wichtigen Hinweis auf die Notwendigkeit der Selbstfürsorge, die Erneuerung der eigenen Energien. Einige Gedanken aus diesem Grundlagenteil seien skizzenhaft hervor gehoben.

Zu den Traumafolgen gehört die Veränderung im Selbst- und Welterleben, „besonders brisant ist die Ambivalenz zwischen `Sehnsucht nach Nähe´  und `niemanden vertrauen können`.(Seite 32) Das dauernde Pendeln zwischen ersehnter Nähe und Sicherheitsabstand bewirkt Stress, Reizbarkeit , Erschöpfung und psychosomatische Beschwerden.

Zu den dauerhaften Veränderungen gehören auch dissoziative Vorgänge, „manche haben gelernt, sich bei Gefahr automatisch innerlich wegzubeamen.“ (Seite 34). Im emotionalen Bereich kommt es zu Angst, Schuldgefühlen, Trauer .. (ebd.)  -Weitere Folgen sind Entwicklungsstopps oder Regressionen auf eine frühere Entwicklungsstufe. (Seite 36)

Baierl geht auch auf die Frage der Resilienz ein: Sichere Bindungen, Spiritualität, ein positives Selbstkonzept, Selbstwirksamkeitserleben u. v. a. m. bauen diese Widerstandskraft auf. (Seite 41). Im Gegensatz dazu führen Risikofaktoren wie neurologische oder physiologische Defizite, wenig flexible Bewältigungsstrategien, Ablehnung durch Gleichaltrige, u. v. a. m. zu einer Erhöhung der Wahrscheinlichkeit  einer Traumafolgestörung.

Interessant  ist das Konzept der positiven Absicht :"Zudem entspringt jedes Verhalten eines jeden Menschen zu jedem Zeitpunkt einer positiven Absicht. Dies anzuerkennen, zu würdigen und sich mit der positiven Absicht zu verbünden, öffnet viele Wege, wo sich sonst hauptsächlich Grenzen zeigen." (Seite 49). Hier könnte ein Hinweis erfolgen auf Literatur, in der dieses Konzept  maßgeblich ist. z.B. auf das konsequente Reframing bei Molnar und Lindquist ,Verhaltensprobleme in der Schule(2002) .

Ein Herzstück des allgemeinen Teils ist das Kapitel über die fünf sicheren Orte: 1) an einem  tatsächlich äußerer sicherer Ort, sein,  2) sich bei beschützenden Menschen befinden, 3) Sicherheit bei sich selbst finden, 4) sich von spirituellen Mächten behütet fühlen und  5) sich an einen in der eigenen Psyche befindlichen sicheren Ort zurückziehen können.   Man könnte nach Auffassung des Rezensenten die fünf Orte auf zwei Gruppen aufteilen: Äußere Sicherheit ( Ort 1,2,4) und innere Sicherheit (3, 5).  Im Abschnitt über die professionelle Nähe gelingt eine trotz der komplexen   Situation verständliche Darstellung des Beziehungsgeschehens, die professionelle Haltung des Pädagogen,  das Berührt-Werden durch den jungen Menschen  und die professionelle Reaktion auf die eigene Involviertheit.  Durch diese klare Darstellung einerseits und durch Anlegen des Begriffs der Übertragung und Gegenübertragung auf die hier skizzierte professionelle Nähe wird sofort sichtbar, dass ein Bereich ausgeblendet wurde:  Die Übertragung! D.h. auch der junge Mensch wird durch die Präsenz und das Verhalten des Traumapädagogen gefühlsmäßig berührt (das klingt im speziellen Teil auch  an, etwa bei der ärztlichen Untersuchung und der Gefahr einer Retraumatisierung) und reagiert dementsprechend, was dann die Gegenübertragung des Traumapädagogen auslöst.  

Im Teil B werden bewährte Methoden und Rahmensetzungen dargestellt: Lebensfreude, Wohngruppenarbeit, ressourcenrientierte Methoden, Konzepte für die Behebung von Schlafstörungen, therapeutisches Puppenspiel u. v. a. m. Das Buch schließt mit erfolgreicher Implementierungen  der Traumapädagogik durch Weiterentwicklung einer Jugendhilfeeinrichtung -gleichsam eine Antwort auf die Probleme, die Frey einleitend  aufgezeigt hatte.

Drei Blitzlichter aus Teil B:  "Das Leben lieben lernen"  ist ein wichtiger  Beitrag, der u. a. betont, dass traumatisierte junge Menschen die Differenzierung von Gefühlen wieder lernen müssen.

 Auf Seite 146 wird das Phasenkonzept "Cycles of Power" nach Pamela Levin eingebracht. Hier wäre eine vergleichende Auseinandersetzung mit den Entwicklungsstufen nach E.H. Erikson spannend (z.B. Identität nach Levin angesetzt zwischen 18 Monaten und 3 Jahren und nach Erikson ab etwa 14 Jahren. Es handelt sich also um zwei ganz verschiedene Identitätsauffassungen, die aber beide wichtige Handlungskonzepte nach sich ziehen).  

Ein Abschnitt befasst sich mit der Reitpädagogik , der schrittweisen Annäherung an das Pferd, den Stufen zur Kommunikation mit dem Pferd.  Die im geschilderten Konzept  auch enthaltene Imaginations - und Metaphernarbeit ist allerdings diskussionswürdig, nämlich inwiefern sie ein "fremdes" Element in die Arbeit mit dem Pferd einführt und außerdem den komplexe Umgang mit Metaphern du Imaginationen bereits voraussetzt.

Auf Seite 140 wird empfohlen, die Kampf- bzw. Fluchtenergien, die im Stress aufgerufen wurden, durch Boxen, Schreien, auf Kopfkissen Einschlagen etc. zu nutzen und abzubauen. Die Simulation von Kampf und Flucht als notwendig für den Energieabbau anzusehen, ist allerdings fragwürdig. Statt Kampf oder Flucht zu bahnen, wäre es sinnvoller, die Energie durch kräfteverzehrende Gymnastik abzubauen und die Interpretation der Energie durch ein Umdeuten in Richtung Sport zu entschärfen.

Das Praxishandbuch erfüllt die Erwartungen voll und ganz, sowohl die Grundlagen betreffend als auch in Hinblick auf die vielen Tipps und Anregungen, denen man anmerkt, dass sie praxiserprobt sind.  Das Buch ist für alle, die mit Traumatisierungen professionell zu tun haben,  eine wahre Fundgrube!  Durchaus denkbar ist aber auch die Umsetzung der einen oder anderen  Idee  bei Menschen, die zwar nicht traumatischen Belastungen ausgesetzt waren, aber  dennoch  Erlebnisse hinter sich haben, die nur schwer verarbeitet werden können. Und schließlich sind die Impulse z.B. zur Hebung der Lebensfreude, zum Überwinden von Verweigerungshaltungen etc. auch von allgemein pädagogischem Wert!

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
14.09.2014
Link
https://www.edugroup.at/bildung/paedagogen-paedagoginnen/rezensionen/koerper-seele-geist/detail/praxishandbuch-traumapaedagogik-lebensfreude-sicherheit-und-geborgenheit-fuer-kinder-und-jugendlic.html
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