Lehrbuch der Personalpsychologie

Das Werk umfasst rund 1300 Seiten. Es fühlt sich der wissenschaftlichen Gemeinschaft verbunden in dem Bestreben, nicht nur den theoretischen Erkenntniszuwachs anzupeilen, sondern auch den praktisch verwertbaren Wissensgewinn...

Buchtitel: Lehrbuch der Personalpsychologie
AutorInnen: Schuler H u Kanning U P (Hrsg)
Verlag: Göttingen: Hogrefe
Erschienen: 2014 (3. überarbeitete und erweiterte Auflage)

Zum Inhalt

Das Werk umfasst rund 1300 Seiten. Es fühlt sich der wissenschaftlichen Gemeinschaft verbunden in dem Bestreben, nicht nur den theoretischen Erkenntniszuwachs anzupeilen, sondern auch den praktisch verwertbaren Wissensgewinn. Diesem Anliegen wird z.B. dadurch Rechnung getragen, dass am Ende jedes Kapitels Tipps für die Praxis erfolgen. Praxisfallbeschreibungen erleichtern den Transfer des erworbenen Wissens in den Berufsalltag. Der Förderung des Wissenserwerbs kommen ein Lernquiz am Ende jedes Kapitels sowie Vorlesungsfolien zum Herunterladen und eine Sammlung von Klausur- bzw. Prüfungsfragen entgegen.

Der Inhalt gliedert sich in sechs Teile plus einem Glossar:  Person-Arbeit-Organisation; Personaldiagnostik; Personalentwicklung; Personalführung; Interaktion und als sechstes Kapitel Evaluation.Wegen der Fülle des Inhalts kann nur schlaglichtartig auf einige interessante Punkte hingewiesen werden, ohne dass die Auswahl eine Wertung bekundet.

Der Rezensent fand die Ausführungen zum Gegenstand und zu den Aufgaben der Personalpsychologie "spannend": Auf der einen Seite geht es um die Perspektive des Individuums (berufsbezogene Interessen, Selbsteinschätzung, Integriertheit etc.), auf der anderen Seite wird die Sichtweise der Organisation dargestellt (Personalmarketing, Führung der Mitarbeiter, Festlegung der Anforderungen, Leistungsbeurteilung usw.). Diese Spannung zeigt sich auch in der Abgrenzung zur Berufspsychologie. Nun wird die Doppelperspektivität aufgesplittet: Die Berufspsychologie fokussiert das entscheidende Individuum, die Personalpsychologie dagegen rückt das Entscheiden und Handeln der Organisation in den Mittelpunkt (z.B. im Personalmanagement), ja, es wird sogar behauptet , dass auf weiten Strecken eine Affinität zum betriebswirtschaftlichen  Personalwesen besteht (Seite 15f).  Somit ergibt sich auch eine Spannung durch die verschiedene Lokalisierung der Doppelperspektivität. Andererseits  merkt man an vielen Stellen, dass die Abgrenzungen zwischen den psychologischen Teilgebieten "durchlässig" sind, fließende Ãœbergänge existieren und keine markanten Trennungslinien.

Eine andere Spannung ergibt sich aus dem differentialpsychologischen Anliegen und der naturwissenschaftlichen Orientierung: Intuitionen wird nur Hypothesencharakter zugestanden, sie bedürfen "der strikten, kontrollierbaren, möglichst emotionslosen und ideologiefreien Prüfung" (Seite 18). Emotionslosigkeit und Ideologiefreiheit werden nebeneiander gestellt, als ob Emotionen Vorurteile seien oder bewirkten. Empirisch nicht überprüfbare oder überprüfte Behauptungen werden als "überkohärente Quasitheorien mit hohem Ãœberzeugungsanspruch"  bezeichnet (Seite 19), der Vorteil der Psychologie wird in der Kenntnis und Anwendung psychometrischer Methoden gesehen (ebd.), die Ãœberlegenheit statistischer Methoden gegenüber klinischen Urteilsbildungen wird betont und ebenso die höhere Qualität der nomothetischen gegenüber der idiografischen Vorgehensweise. 

Der Rezensent war selbst einige Zeit im Personalmanagement mit der Vorauswahl von gehobenem Führungspersonal befasst: Psychometrische Informationen aus Testungen der Bewerber/innen fanden zwar Verwendung in einem matching-Prozess zwischen den Anforderungen an den Träger einer bestimmten Funktion, den Wünschen der Firmenleitung und den Vorstellungen und Erwartungen bzw. Fähigkeiten des/der Bewerbers/Bewerberin. Der Aussage-Wert der psychometrischen Verfahren  war aber größer oder kleiner je nachdem, ob die relevanten Kriterien erfasst wurden. Niemals waren daher diese Daten alleinige Grundlage der Vorentscheidung, sondern wurden durch die  Einsichtnahme in Referenzen und Fähigkeitsnachweise und vor allem durch Beobachtungen im direkten Kontakt und durch ein persönliches Gespräch des/der Bewerbers/Bewerberin  mit dem/r  Managementberater /in auf eine breite Basis gestellt. Empathie und Intuition waren keinesfalls hinderlich. Das sieht auch Schuler so, wenn er schreibt:"Die Antworten des Bewerbers, wie auch weitere Eindrücke aus dem Gesprächsverlauf, beispielsweise nonverbales Verhalten betreffend, werden traditionell zu einem "klinischen" Urteil - in intuitiver Kombination und Gewichtung -bei neueren Interviewformen auch nach einem vorgegebenen Algorithmus zusammengefasst." (Seite 278)

Schuler trifft nach allem Hervorheben der naturwissenschaftlich-empirischen Methodik eine ganz wichtige, relativierende Feststellung:" Solange wesentliche Parameter, die in die komplexe Intuition eingehen, nicht strukturell abzubilden sind, wird man natürlich am besten mit einer Kombination strukturierter und intuitiver Vorgehensweisen fahren." (Seite 20). Dem ist voll zuzustimmen, man wird nur noch einwenden können: Warum überhaupt auf eine Informationsquelle verzichten? Warum nicht die Chance einer intuitiven, empathischen, idiografischen Erfassung nützen und damit die statistischen, nomothetischen, strukturellen Daten ergänzen? Und das nicht nur vorüber gehend, sondern prinzipiell, weil bekanntlich die Mathematisierung dort Grenzen hat, wo hinter der strukturellen Passung die einmalige  und einzigartige Person aufgespürt werden soll- und dies, auch wenn die Empathie  und die Erkundung bewusst auf die eignungsrelevanten Aspekte für die in Frage stehende Aufgaben- und Rollenübernahme  beschränkt wird.

Von den vorangegangenen Ãœberlegungen lässt sich leicht eine Brücke schlagen zu biografieorientierten Verfahren der Personalauswahl. Die Ableitung des zukünftigen Verhaltens aus den Verhaltensweisen in der Vergangenheit kann natürlich durch und durch standardisiert werden, es gibt aber auch die Möglichkeit offener Fragen,  das Multimodale Interview (Seite 286ff) enthält z.B. auch freie Gesprächsteile, "die" einen von den Bewerbern bevorzugten natürlichen Gesprächsverlauf und die Möglichkeit der Situationskontrolle durch die Bewerber zulässt." (Seite 288) Diese Akzeptanz macht aber andererseits auch zugängig für methodische Verbesserungen, die aufgrund der Interviewforschung als notwendig erkannt wurden (Seite 279ff).

Aus Platzgründen nur stichwortartige Erwähnung weiterer Inhaltsbeispiele: Das Mentoring (die Hilfe erfahrener Personen für relative Neulinge, das schließt auch Arrangements ein, die nicht unternehmensbedingt sind); die Abgrenzung von Coaching gegenüber Beratung, Psychotherapie, Training (eine wegen der inflationären Begriffsverwendung wichtige Abgrenzung); die Tipps für die Praxis im Kapitel Selbstmanagement; die checklistenartige Zusammenstellung von Vorbedingungen für eine erfolgreiche Gruppenarbeit; das aus den Koordinaten Fremdinteresse und Eigeninteresse aufgespannte Feld der Konfliktverhaltensmöglichkeiten; die Auflistung von Studienartefakten; die Vorschläge für Ãœbungen zur Personalentwicklung - all dies sind nur einige wenige Beispiele für den Inhaltsreichtum dieses Lehrbuches, das zugleich alle Kriterien der verständlichen Kommunikation und Informationen erfüllt: Es ist gut gegliedert, stimulierend gestaltet, prägnant und sparsam in der Verwendung einer nur Fachleuten zugängigen Ausdrucksweise!  Größe und Gewicht dieses Buches müssen daher nicht "schrecken". Zusätzlich ist die "Personalpsychologie" in der vorliegenden Form ein überzeugendes und gewichtiges Argument für die umfassende Einflussnahme der Psychologie durch Konkretisierung  und gleichzeitige Berücksichtigung von Individuumsorientierung und gesellschaftlicher Realität und deren Wechselwirkungen! So werden die Grundlagen der Differentiellen Psychologie und Persönlichkeitspsychologie einerseits und der Sozialpsychologie andererseits in einem bestimmten Lebensbereich des Menschen miteinander verflochten und fruchtbar gemacht!

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
25.03.2014
Link
https://pup.schule.at/portale/psychologie-und-philosophie/news/detail/lehrbuch-der-personalpsychologie.html
Kostenpflichtig
nein