Notfall Seele

Das Buch ist vom Scheitel bis zur Sohle informativ, denn selbst die Innenseiten des Buchumschlages werden für wichtige Hinweise genützt: Eine Tabelle A, die psychosozialen Funktionsstörungen (Fachterminologie) und den dazu gehörenden Schlüsselsyndromen (Laienschilderung) die entsprechenden...

Buchtitel: Notfall Seele. Ambulante Notfall- und Krisenintervention in der Psychiatrie und Psychotherapie.
Autorinnen: Rupp M
Verlag: Thieme
Erschienen: 2010

...Buchkapitel zuweist; und eine Tabelle B, die den Ablauf einer Notfallintervention in fünf Phasen darstellt.

Das Buch wird dem Ziel, Krisenhelfer (Ärzte, Pflegefachkräfte, Sozialarbeiter und Sozialpädagogen, Psychotherapeuten und Rettungsfachpersonal) in der Dramatik der Notfallsituation hilfreich zu begleiten, voll gerecht. Auch die in der obigen Aufzählung nicht aufscheinenden Psychologen profitieren sicher von den Ratschlägen zur Beurteilung der akuten Problemsituation, zur Kommunikation mit Personen in Ausnahmesituationen, zum Medikamenteneinsatz und zum Schutz der eigenen Person gegenüber Tätlichkeiten oder Selbstüberforderung.

Der erste Teil des Buches bringt die Grundlagen der Notfall- und Krisenintervention: Dem Autor gelingt es anhand von selbst gefertigten Zeichnungen die dramatische Steigerung von der Krise zum seelischen Notfall anschaulich zu machen: Ein Boot kämpft im hohen Wellengang der Krise um Stabilisierung – beim Notfall ist schon ein Mann über Borg gegangen und droht zu ertrinken. Das Buch schildert sowohl hilfreiche Faktoren der Krisenbewältigung als auch Risikofaktoren – wie z.B. lebensgeschichtlich erworbene eingeschränkte Lösungsmuster, psychische Störungen, körperliche Störungen, soziale Belastungen. Eindringlich werden die verschiedenen Stadien der Eskalation der Krise zum Notfall beschrieben. Ein ganz wichtiger Abschnitt befasst sich mit den sieben Schlüsselsyndromen: Damit ist die umgangssprachliche Laienschilderung einer Situation gemeint, von der der Fachmann auf die eigentliche Funktionsstörung schließen kann. So kann die betroffene Person a) benommen und verwirrt erscheinen (Störung des Bewusstseins infolge einer akuten hirnorganischen Beeinträchtigung mit Konsequenz der verringerten Wachheit, Aufmerksamkeit, Orientierung etc.), b) unruhig-komisch-wahnhaft (Störung des Realitätsbezugs in Wahrnehmen, Denken, Handeln bei innerer oder äußerer Reizüberflutung und nicht mehr kontrollierbarer Erregung), c) verzweifelt-suizidal (die Verzweiflung zeigt sich in Dekompensation, Selbstverletzung, Suizidabsicht oft in Folge von Depression oder traumatischer Erfahrung), d) Konflikt, Gewalt (von der Drohung bis zum Missbrauch, zur Misshandlung, zur offenen Bewunderung von Gewalt), e) Alkohol- und Drogenproblem (hier gibt das Buch einen Überblick über nicht-substanzspezifische Erscheinungsbilder, substanzspezifische Syndrome, über die Dynamik bei psychischer, physischer und sozialer Abhängigkeit) f) Angst, Panik ( auf die verschiedenen Formen wird eingegangen: Panikattacken, Phobie, dissoziative bzw. posttraumatische Zustände etc.) , g) chronisch-akut (mit dieser Bezeichnung ist keine Polrität gemeint, sondern eine „Dauerkrisenhaftigkeit“, ein ständiges Gefährdungspotential bei Persönlichkeitsstörungen, bei präpsychotischen Zuständen, bei Mischbildern von Leidenszuständen, bei unvertrauten Syndromen von Menschen aus anderen kulturellem Hintergrund). Bei all diesen Schlüsselsyndromen gibt es neben der Laienschilderung auch Fallbeispiele und Krankheitsbeispiele sowie Ausführungen zur Pathogenese. Der erste Teil des Buches widmet sich außerdem den wichtigen Fragen: Setting, Prinzipien, Selbsthilfe; Ablauf einer Notfallintervention sowie Kommunikation, Medikation und Einweisung. Aus Platzgründen sei beispielhaft auf die Hinweise zur Selbsthilfe der Helfer eingegangen (Seite 60ff): Es gibt Risikokonstellationen wie z.B. unlösbare, ambivalente, missbräuchliche Aufträge, die zu einer Verstrickung Helfer-Patient führen können oder sogar zur Hilflosigkeit des Helfers eskalieren können. Ganz wertvoll daher die Empfehlungen für ein „Instrumentarium der Selbsthilfe“ (z.B. Grenzen setzen, sich helfen lassen, Pausen einlegen, Distanz herstellen, Betrachtungsebene wechseln).

Der zweite Teil des Buches widmet sich als Praxis der Notfall- und Krisenintervention eingehend den einzelnen Schlüsselsyndromen: Wie verläuft der Erstkontakt, die Auftragsklärung, die Vorbereitungsphase, die Abklärungsphase, die Maßnahmen-Phase vor Ort, die Medikation. Eine hervorragende Stellung nimmt dabei der erste Schritt der Vorbereitungsphase ein, die sogenannte Triage. Unter diesem (aus dem notwendigen gezielten Mitteleinsatz und der dadurch auch notwendigen Prioritätensetzung bei Versorgungs- bzw. Interventionsüberlegungen betreffend Kriegsverletzungen abgeleiteten) Begriff werden alle Maßnahmen (wie z.B. gezielte Fragen) verstanden, die bei der Entscheidung für Sofortintervention notwendig sind. Die Triage-Fragen lauten: 1) Welches Schlüsselsyndrom? 2) Dringlichkeit? 3) Zuständigkeit? 4.Interventionsort? 5.Teilnehmende?

Das Buch liefert eine Fülle von praktisch verwertbaren Informationen zur Gesprächsführung, zur Zielsetzung, zur Nachbereitung, es gibt Hilfestellungen durch Musterfragen, durch Beurteilungskriterien, durch tabellenartig zusammen gefasste Hilfestrategien bei verschiedenen Störungsgraden. Die zeichnerischen Skizzen des Autors heben das Wesentliche hervor, sei es bei einem Störungsbild oder bei einer Maßnahmensetzung. „Notfall Seele“ ist ein „Glücksfall für den Helfer!“

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
16.08.2010
Link
https://pup.schule.at/portale/psychologie-und-philosophie/news/detail/notfall-seele.html
Kostenpflichtig
nein