Positive Psychologie in der Praxis. Anwendung in Psychotherapie, Beratung und Coaching.

Dieses Buch ist ein überzeugendes Plädoyer für den positiven Ansatz in der Psychologie, es bringt dem fachkundigen und dem interessierten Leser eine Fülle wertvoller Anregungen!

Buchtitel: Positive Psychologie in der Praxis. Anwendung in Psychotherapie, Beratung und Coaching.
AutorInnen: Steinebach C, Jungo D u Zihlmann R
Verlag: Beltz
Erschienen: 2012

Zum Inhalt

Die Positive Psychologie befasst sich mit Bedingungen und (Wechsel-) Wirkungen für eine optimale Entwicklung von Personen, Gruppen und Organisationen (Seite 18). Der Fokus liegt auf Ressourcen, Stärken, Wachstum, aber das Negative wird nicht ausgeklammert, sondern integriert im Sinne, aus allem das Beste zu machen. Während die Problemperspektive bisher dominiert hat, ist die Unterstützung und Förderung von Erfolg, Erfüllung, Begabung und Talenten noch relativ wenig beachtet  worden. Die Positive Psychologie kümmert sich daher intensiv um  diese entwicklungsförderlichen Aspekte. Dabei werden auch die Risiken und Erschwernisse durch die Umwelt und die persönlichen Schwächen berücksichtigt (Seite 23).  Der Mensch kann aus allem einen persönlichen Gewinn ziehen. (Ein Hinweis auf Alfred Adler kann das Gesagte unterstreichen: Die Kompensation des Minderwertigkeitsgefühls durch besondere Anstrengungen der Lebensmeisterung).(Seite 27; 31).  Assimilation, Akkommodation und Kontrolle sind wichtige Prinzipien für eine gute Entwicklung. 

Nach diesen grundsätzlichen Ausführungen  befasst sich der Teil II mit Konzepten wie z.B. dem Flowerleben als Aufgehen im Tun, wenn Anforderungen und Fähigkeiten ausbalanciert sind und weder Angst noch Langeweile herrschen (Seite 39). 

Die Ausführungen über das Glück versprechen keine Glückserlangungstechnik, sondern geben die  prinzipielle  Unverfügbarkeit des Glücks zu (der Rezensent erinnert an  Viktor E. Frankl, der immer wieder betonte, dass nur die Werterfüllung intendiert werden kann,  Glück oder  Freude aber nicht, sie kommen als Nebenprodukte). 

Ein weiteres Kapitel befasst sich mit Zivilcourage, wichtige Erfordernisse für das Auftreten gegen Ungerechtigkeit oder Gefährdung von Personen werden einleuchtend dargestellt. Dieses Kapitel ist grundlegend für mutige Solidarität und so geschrieben, dass Nachahmung realisierbar erscheint . Eine wichtige Anmerkung zur Ergänzung: Man kann auch auf die Möglichkeit des Opfers hinweisen, potentielle Helfer zur Zivilcourage zu ermuntern. Aus der Sozialpsychologie ist bekannt, dass die Hilfeleistung dann eher erfolgt, wenn sich der in Not befindliche Mitmensch direkt mit einem Hilfeappell an uns wendet. 

Ein Kapitel über Achtsamkeit darf nicht fehlen. Die bedeutsame Rolle der Achtsamkeit wird einmal mehr betont. Eines bleibt aber noch fraglich: In der Meditation mag das Loslassen aller Ziele zugunsten des aktuellen Prozess-Erlebens wichtig sein (Seite 63); in der Achtsamkeits-Übung mag das Bewerten, Interpretieren und Reagieren als störend betrachtet  und eliminiert werden(Seite 64) - aber können in der Bewältigung des Alltags permanente Stellungnahmen und Ziel- bzw. Wertorientierung unterlassen werden? Achtsamkeit und Aktivität sollten ineinander fließen wie die Felder des Yin-Yang-Symbols. 

Im Kapitel über den Humor wird die wichtige Funktion des Humors überzeugend dargestallt, u. a.  wird die Leichtherzigkeit gegenüber der Schwermut hervorgehoben (Seite 73). Humorvoller Umgang mit den kleinen Widrigkeiten ist nicht gleichzusetzen mit den Strategien des Abwehrens und Dissimulierens, sondern eine aktive Bewältigung.

Nach einem Kapitel über Kreativität folgt eine Ausführung über Vertrauen, das maßgeblich zum Wohlbefinden beiträgt (Seite 93). Anmerkung des Rezensenten: Als Gegensatz zum Vertrauen  gibt es das Misstrauen, wie es Erikson formuliert, es gibt aber auch einen positiven Gegenpol,  die Kritikfähigkeit. Sie kann z.B. Enttäuschungen verhindern.

Im Kapitel über die Resilienz wird diese seelische Widerstandsfähigkeit nur konstatiert, wenn es sich um die tatsächliche Bewältigung von Krisen handelt (Seite 95). Man könnte allerdings die Auffassung vertreten: Widerstandsfähigkeit kann sich auch graduell in mikrotraumatischen Situationen zeigen.

Das Kapitel über den positiven Attributionsstil  (Erfolge werden stabil, global und intern verursacht gesehen, Misserfolge hingegen labil, spezifisch und extern verursacht) kritisiert am Konzept der erlernten Hilflosigkeit, dass die betroffenen Personen zwar hilflos sind, aber ihre Situation realistisch sehen und daher keine kognitive Fehlsicht aufweisen, sondern als depressiv realistisch bezeichnet werden könnten. Anders normale Personen, die oft in einer illusorischen Überschätzung ihrer Kontrollmöglichkeit befangen sind. Es gibt allerdings einen funktionalen Optimismus, der die Leistungsfähigkeit erhöht (Seite 105ff). Was bei diesen interessanten Ausführungen noch berücksichtigt werden könnte, ist die Differenzierung zwischen Hilflosigkeit als mangelndem Selbstvertrauen (vermeintliche Hilflosigkeit) und einem Defizit an Handlungsmöglichkeiten und Strategien. Bei ersterem mag ein funktionaler Optimismus Erfolge zeitigen, bei letzterem kann er hingegen  kontraproduktiv sein.

Teil III beschreibt Praxisfelder: Diagnostik, positive Identität, ressourcenorientierte Psychotherapie, Coaching, posttraumatische Reifung, Gesundheitsförderung in jugendlichen Peerbeziehungen,  in der Arbeit (hier wird dankenswerter Weise nicht in die derzeit häufige alleinige Zuweisung des Burnout-Problems zur individuellen Pathologie eingestimmt, sondern auch von schlecht gestalteten Arbeitsplätzen und von der Verantwortung der Organisation gesprochen (Seite 164f).

Die weiteren Kapitel befassen sich mit Fragen der Partnerschaft, des Alters,  der Berufswahlvorbereitung,  der Berufsberatung,  der Mitarbeiterstärkung und positiven Führung, der Medienkompetenz, der körperlichen Aktivität. 

Das Buch schließt mit einem sympathischen Appell, das Positive im Menschen zu sehen und ihm Fähigkeiten und Kenntnisse zuzutrauen, Prüfungen so zu gestalten, dass Positives zutage treten kann, naturwissenschaftliches Erfassen von Prozessen und geisteswissenschaftliches Verstehen miteinander zu verbinden, ebenso Theorie und Praxis.

Dieses Buch ist ein überzeugendes Plädoyer für den positiven Ansatz in der Psychologie, es bringt dem fachkundigen und dem interessierten Leser eine Fülle wertvoller Anregungen!

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
03.02.2014
Link
https://pup.schule.at/portale/psychologie-und-philosophie/news/detail/positive-psychologie-in-der-praxis-anwendung-in-psychotherapie-beratung-und-coaching.html
Kostenpflichtig
nein