Psychoanalytisches Arbeiten

Die Ausführungen in diesem Buch sind angreifbar! – Und das ist ein Kompliment: So manche Bücher über Psychoanalyse verschanzen sich hinter immunisierenden Bedeutungszirkeln und erlauben keinen kritischen Zugang oder erschweren die Diskussion. Anders hier: Es wird explizit der Anspruch erhoben, ...

Buchtitel: Psychoanalytisches Arbeiten. Für eine Theorie der Praxis.
Autorinnen: Kläui C
Verlag: Hogrefe
Erschienen: 2008

...nicht nur für Analytiker, sondern „so geschrieben zu sein, dass es auch anderen Interessierten zugänglich ist“ (S 15). Wo finden sich Stellen, die zur Diskussion einladen? Z.B. das Kapitel 2, in dem Psychoanalyse und psychoanalytische Psychotherapie einander gegenüber gestellt werden. Während Therapie auf Leidensverminderung oder –behebung abziele, sei diese nicht direktes Ziel, sondern indirekter Effekt der Psychoanalyse. Allerdings wird die Psychotherapie als normorientiert, störungsorientiert dargestellt (wobei vergessen wird, dass das Gros der Patienten nicht aus Gründen einer „objektiven“ Normabweichung in die Psychotherapie kommt, sondern aus einem subjektiven Unbehagen). Darüber hinaus besitzt die Darstellung der Psychoanalyse einen Januskopf: Einerseits wird die psychoanalytische Haltung generell als „therapeutisch“ beschrieben im Wortsinn des förderlichen Betrachten und Gedeihenlassens. Psychoanalyse widmet sich also dem offenen Zuhören, damit Menschen sich Gehör verschaffen und ihren eigenen Weg finden, d.h. dem ethischen Anliegen, dass jeder Mensch mit seinen Fragen und Anliegen zu Wort kommen muss, eigentlich dem Anspruch, dass jeder Mensch seine Individualisierung durch Psychoanalyse fördern könnte (und sollte?). –Diese engagierte Position sollte aber nicht mit einem ungünstigen furor sanandi (Heilungswut) gleich gesetzt werden. Andererseits wird die Psychoanalyse als spezifische Technik für spezifische Probleme charakterisiert. Letztere sollten nicht etwa sein: Eine übelgelaunte Chefin, der man sich gegenüber zu behaupten hätte (hier wird jede assertive Therapie ausgegrenzt), sondern das fast als kognitives Rätsel dargebotene Problem, warum man sich immer wieder in gleiche Konfliktmuster begibt. Wobei die – zugegeben sophisticated – Metafrage nicht gestellt wird: Ob das Aufsuchen der psychoanalytischen Situation (mit dem Angebot „unbegrenzten Zuhörens“) nicht auch schon selbst ein Konfliktverhalten darstellen kann. Das spannende Buch zeigt viele Facetten: Teilweise könnten die Ausführungen zum Hören, zur Einfühlung, zur offenen Haltung, die den Therapeuten einbindet, zur sich jeweils aktualisierenden Situation durchwegs auch in einem Buch über humanistische Psychotherapieformen stehen und sich etwa mit dem Rogerschen Ansatz relativ leicht in Einklang bringen lassen. Teilweise philosophiert der Autor – der immer wieder auch seine Verbundenheit mit dem Ansatz von Lacan merken lässt – z.B. über das Verhältnis Reden und Schreiben, von Bild und Wort, oder über die Körperlichkeit des Sprechens; der Autor lädt im Einleitungsteil geradezu zum spielerischen Umgang mit dem Text ein, der sich zwar als roten Faden am Verlauf einer Therapie mit den Themen Anfangen, Verlieren und Erfinden, Krisen und Aufhören befasst, aber durch seine Netzstruktur auch andere Leseentscheidungen ermöglicht. Die in sonstigen Büchern dominierenden Themen wie das Unbewusste, die Psychogenese etc. schimmern hier als Hintergrundfolie durch: Z.B. in der Art, wie dem scheinbar Nebensächlichen, dem scheinbar sinnlosen, namenlosen Abfall die meiste Bedeutung verliehen wird, nämlich die, das eigentliche Wirkzentrum, den Motor des analytischen Prozesses darzustellen. Von den vielen lohnenswerten Überlegungen sei nur eine noch angeführt: Alles spricht, steht am Anfang von Kapitel 16, einem der schönsten des Buches, wo ein subtiler Zusammenhang zwischen Bedeutsamkeit und Übertragung hergestellt wird, der Mensch, dem ich mich zur Übertragung öffne, holt mich aus meiner Stummheit dadurch, dass er alles, was ich ihm mitteile, wichtig nimmt. Der Mensch hat einen Wunsch nach Antwort, darum öffnet er sich einem Gegenüber.

Das Buch ist eine besinnliche, originelle Einladung, sich mit dem Psychoanalytischen Arbeiten auseinander zu setzen – wegen seiner offenen integrativen Art auch für Psychotherapeuten anderer Schulen!

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
04.12.2008
Link
https://pup.schule.at/portale/psychologie-und-philosophie/news/detail/psychoanalytisches-arbeiten.html
Kostenpflichtig
nein