Hamnet

Autor O’FARRELL; Maggie

Verlag London: Tinder Press 2020

Was für ein traurigestrauriges Buch! Aber O’Farrell ist ein Garant für die Darstellung von Verlust (s. Archiv), und wir werden sehen, ob sie den -leider verschobenen – Women’s Prize for Fiction gewinnt; immerhin sind auf der Shortlist auch Evaristo und Mantel (s. Archiv).

Wir wissen, dass Hamnet, Shakespeares Sohn, nur ein kurzes Leben beschieden war; er starb, aus unbekannten Gründen, mit elf Jahren, und manche meinen, er taucht als Hamlet (die Namen waren austauschbar) wieder auf. O’Farrell hat gründlich recherchiert und spekuliert mit folgendem Tod: Hamnet starb an der Pest, und er starb deshalb, weil er sich für seine Zwillingsschwester Judith opferte. Nach seinem Tod stellt sich heraus, dass er es war, der die Familie irgendwie zusammenhielt, mit seinem Tod brechen die Dinge auseinander. Shakespeare ist fast nur noch in London, ertränkt seine Verzweiflung (unter anderem) im Theater. Aber Shakespeare ist in diesem Roman nicht so wichtig, er wird nicht einmal beim Namen genannt. Hauptperson ist seine Frau Agnes (eine Variante von Anne), wie wir wissen, eine Frau einige Jahre älter als Shakespeare, klug, begabt mit allerlei kräuterkundigen und hellseherischen Fähigkeiten, eine Frau, die nach Unabhängigkeit strebt. Sie muss sich nicht nur gegen ihre Stiefmutter bewähren, sie muss auch Shakespeares Eltern, dem windigen Handschuhmacher und seiner selbstgerechten Frau, entschieden entgegentreten. „Hamnet“ ist somit ein exzellentes Zeitdokument einer Frau, der ja im „wirklichen Leben“ von ihrem Ehemann nur das zweitbeste Ehebett hinterlassen wurde. Agnes ist es, die sich durch den Verlust kämpfen muss, sie kann nicht die Flucht in die Kunst antreten, sie erahnt, was ihren Mann antreibt, aber sie bleibt mit ihren Versuchen, die Krise zu bewältigen, an Stratford gebunden.

O’Farrell, die, wie gesagt, Spezialistin für Verlust ist, bedient sich einer anspruchsvollen Sprache (ach, die vielen neuen Wörter, passend zum damaligen Alltag), die allein schon zum Lesevergnügen reicht. Sie schafft es aber auch, ein atemberaubendes Bild der Zeit zu entwerfen, sei es am Schauplatz Land oder am Schauplatz London; als Agnes und ihr Bruder Bartholomew zur Aufführung von „Hamlet“ reiten, zeigt sich auf ansprechende Weise der Gegensatz zwischen den Welten. Für das und noch viel mehr – höchste Leseempfehlung!

pp. 384

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
01.06.2020
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nein