Milkman

Autor BURNS, Anna

Verlag London: faber&faber 2018

Auf meinem Exemplar wird Burns noch dafür gelobt, dass sie 2002 auf der Shortlist des Orange Prize war; das Exemplar, das Sie kaufen, hat wahrscheinlich schon den Sticker: „Winner of the Man Booker 2018“. Zum ersten Mal gewinnt damit eine nordirische Autorin die begehrte Auszeichnung.

“The day Somebody McSomebody put a gun to my breast and called me a cat and threatened to shoot me was the same day the milkman died,” ist der erste Satz des Buches, das in der 1970ern in Belfast spielt. Und er enthält bereits Wesentliches. Der großspurige Somebody McSomebody ist ein Kleinformat im Vergleich zum 41-jährigen Milkman, einem Paramilitär, der sich der 18-jährigen Erzählerin (middle sister) nähert. Zwei Brüder sind als „renouncers“ (of the state) bereits getötet worden, eine Schwester hat „falsch“ geheiratet. Namen haben sie alle nicht, denn sie stehen auch für zahlreiche andere Schicksale, die eine Atmosphäre der Angst und Unsicherheit im nordirischen Konflikt begleiten. Unsicherheit entsteht aber nicht nur wegen des Terrors, sondern auch wegen der ständigen Gerüchteküche. Und die weiß ganz plötzlich, dass die Erzählerin ein Verhältnis mit Milkman hat; der lauert ihr auch immer wieder auf und signalisiert, dass er alles über sie weiß, über Maybe-Boyfriend, über ihre seltsamen Interessen (Literatur des 19. Jahrhunderts), über ihr Laufen mit Brother-in-Law etc. Die Erzählerin hat natürlich kein Verhältnis mit ihm, aber das dauernde ‚harassment‘ zehrt an ihren Nerven. Ihre eigene Mutter glaubt ihr nicht, aber auch Longest Friend kann nicht überzeugt werden. Hinzu kommt, dass Milkman natürlich kein milkman ist; ein echter milkman taucht in einer Notsituation auf; der beweist übrigens Zivilcourage, als er hinter seinem Haus ein vergrabenes Waffenarsenal findet. Er gräbt die Waffen aus und wirft sie auf die Straße.

Burns‘ Roman ist anstrengende Lektüre: wenige Kapitel, kaum Absätze und ein konstantes Geschwurbel an Sätzen, die uns in die verrückte Welt der ‚Troubles‘, aber auch die Verwirrtheit der Erzählerin hineinziehen; da muss man richtiggehend nach Luft schnappen, wenn man sich eine Episode erlesen hat. Gleichzeitig kann ich für mich nicht die Frage beantworten, warum der Roman derart umfangreich ist. Es passiert relativ wenig auf einer linearen Ebene, vielmehr existiert eine Erzählwolke; und da frage ich mich doch, ob das Buch nicht mit 100 Seiten weniger ein wirkliches Meisterwerk geworden wäre; so stellen sich bisweilen Ermüdungserscheinung beim Lesen ein. Trotzdem ist „Milkman“ ein Roman, der zeigt, wie Erzählformen immer wieder neu definiert werden können und wie Sprache ein großartiges Instrument der Gestaltung ist.

pp. 348

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
01.11.2018
Link
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nein