Lincoln in the Bardo

Autor SAUNDERS, George

Verlag London: Bloomsbury 2017

Ich hätte es ja allen Bewerberinnen und Bewerbern vergönnt, den Preis zu erhalten, aber es ist durchaus erfreulich, dass George Saunders, ein großer Name der amerikanischen Kurzgeschichte, den Man Booker Preis 2017 erhalten hat.

Saunders bleibt ein wenig der Kurzform treu, integriert aber auch das Dramatische. Das ist das erste Positive, das sich über seinen Roman sagen lässt: Er ist erzähltechnisch unüblich und erhöht dadurch die Spannung. Davon später mehr.

Was ist das Grundgerüst der Handlung? Der elfjährige Willie siecht am Typhus dahin, während seine Eltern ein Fest feiern. Willie findet sich im bardo thos grol, jenem Zwischenreich, das wir aus dem tibetanischen Totenbuch kennen, wieder. Der Bardo ist bevölkert von vielen Wesen, die nicht direkt ins Nirvana gegangen sind, sondern sich aus unterschiedlichsten Gründen noch nicht von ihrem Vorleben verabschiedet haben. (Bezeichnenderweise nennen sie etwa den Sarg ‚sick-box.‘)

Die drei Haupterzähler, Bevins, Vollman und der Reverend Early, treffen auf Willie; als Kind soll der möglichst schnell weiterreisen, um einen qualvollen Zustand zu vermeiden, aber er will nicht. Am 22. 2. 1862 hat ja Lincoln die Familiengruft besucht, um seinen Sohn ein letztes Mal in den Armen zu halten. Das erweckt im Bardo-Willie einen Zustand der Sehnsucht, er meint, seine Eltern kämen ihn wieder abholen.

Was der Roman präsentiert, ist eine Vielzahl von Stimmen, ein eher kakophones Winesburg, in dem Willie immer in den Hintergrund rückt, die anderen Wesen mit ihren Geschichten um Rache, Zuneigung, Trauer, Unbehaustheit immer mehr zur Geltung kommen. Letztendlich aber können sie lernen, dass Mitgefühl und Großmut den Sieg davontragen können.

Saunders erzählt seine Geschichte so, als ob er viel kleine Quellen zusammengetragen hätte; bis zu einem gewissen Grad hat er das auch – aber er macht das, soweit ich das überprüfen konnte, anhand einer Mischung aus fiktiven und realen Quellen (die fiktiven Charaktere selbstverständlich ausgenommen).

Das sieht dann etwa so aus:

As I moved about the room I would encounter that silver wedge of a moon in this window or that, like some old beggar who wished to be invited in.
Carter, op. cit.

By the time dinner was served, the moon shone high and small and blue above, still bright, albeit somewhat diminished.
In “A Time Departed” (unpublished memoir), by I.B. Brigg III.

The night continued dark and moonless; a storm was moving in.
In “Those Most Joyful Years,” by Albert Trundle.

Keine Frage, dadurch liest sich das Buch auch schneller, als man annehmen möchte. Aber das ist gar nicht der Punkt; nach einigen Jahren von Booker Preis-Romanen, die für die europäischen Leser/innen nur bedingt interessant waren, liegt hier, trotz des eindeutigen historischen Aspekts, eindeutig wieder ein Gewinnerbuch vor, das von allen mit Freude, Interesse und Gewinn gelesen werden kann.

pp. 343

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Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
02.11.2017
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