Alle Kinder lernen Deutsch

Das Material besteht aus einer Einführungsbroschüre sowie 64 A4 Blättern mit färbigen Bildern von Tieren. Im unteren Teil der Blätter ist jeweils ein Satz mit den vom Verfasser entwickelten Mundbildpictogrammen (Abbildungen der Lautbildung) dargestellt.

Buchtitel: Alle Kinder lernen Deutsch
Autorinnen: Dreher H
Verlag: Rottenburg: Rottenburger Verlag
Erschienen: 2007

Auf der Rückseite dieser Blätter findet sich der Satz in normaler Buchstabenschrift. Es werden Besonderheiten der Rechtschreibung angeführt. Zusätzlich wird ein Lesetext, der sich auf die Tierbilder bezieht, angeboten. Der Inhalt wird dann durch Fragen nochmals erarbeitet.

Die Sätze, die aus den Mundbildern geformt sind, enthalten neben der Lautfolge alle relevanten orthographischen Besonderheiten und zwar in Form der sog. Sonderzeichen für Großschreibung, Mitlautverdoppelung, Dehnung mit Dehnungs-h oder durch Selbstlautverdoppelung, langes i, einschließlich der Kennzeichnung aller von den Basisgraphemen abweichenden Orthographemen. Insofern enthält das Material eine explizit vermittelbare Strategie zum Strategiewechsel von einer lautgetreuen zu einer orthographischen Schreibweise. Das Material setzt die Erarbeitung des Lautspektrums der deutschen Sprache mittels der Kindergartenfibel 1 und Kindergartenfibel 2+3 (von Dreher H und Dreher-Spindler E, ebenfalls Rottenburgverlag) voraus. Zusätzlich gibt es u. a. ein Sortiment 72 Legekarten (Mundbild Pictogramme), ein Einführungsskriptum in die vom Autor entwickelte Kybernetische Methode, sowie eine Einführungs – DVD und eine DVD, die den Einsatz der Methode im Kindergarten zeigt.

Zentrale Gedanken der Kybernetischen Methode bestehen 1) in der Bedeutung, die der Wahrnehmung und Bewegung zugemessen wird, 2) in der Prämisse, dass Kinder mit unzureichender Wahrnehmungsentwicklung eines besonderen Lernangebotes bedürfen und 3) in der Prämisse, dass das Erlernen von Kulturtechniken als Aufbau funktioneller Systeme betrachtet werden muss.

Die Steuerungsvorgänge, die mit dem Begriff der Kybernetik bzw. der Kybernetischen Methode gemeint sind, beziehen sich sowohl auf funktionierende Prozesse als auch auf noch nicht funktionierende, noch zu entwickelnde Prozesse. Dreher sieht die Chancen dieser Methode beim Erlernen des Rechnens (wofür er in der Einführungs – DVD Beispiele für seinen die Finger tatsächlich einsetzenden Digitalisierungsansatz beim Rechnen Lernen gibt), beim Erlernen des Lesens und des Rechtschreibens und bei der Verbesserung von Aufmerksamkeitsleistungen.

Andere Konzepte weisen auf die Bedeutung des metasprachlichen Wissens und die Entwicklung von Strategien hin, die von der Schriftspracherwerbsforschung ja schon lange als wesentliche Voraussetzung für einen erfolgreichen Schriftspracherwerb angesehen werden. So werden sprachliche Fähigkeiten und Vorerfahrungen im Umgang mit Schriftsprache (Buchstabenkenntnis, Schreiben des eigenen Namens, Erfahrung mit Büchern) als wichtigste allgemeine Prädiktoren und die Bewusstheit über den Aufbau der Schrift als spezielle Voraussetzungen zum Erlernen der Phonem-Graphem-Korrespondenz betrachtet. Gegen die Entwicklungsmodelle des Schriftsprachenerwerbs gibt es allerdings auch wieder Argumente, so z.B. Günther (2007, Schriftspracherwerb und LRS. Methoden, Förderdiagnostik und praktische Hilfen München: BeltzS. 30.): „Doch der Glaube an die viel zitierten und hoch gelobten Entwicklungsmodelle scheint nach und nach zu schwinden.“ Herbert Günther vertritt auch die Position, dass die Lautstruktur grundlegend für den Schriftspracherwerb ist (ebd. Seite 13).

Gern wird auch auf das Informationsstufen-System von Radigk hingewiesen, das als funktionelles System von der sinnlichen Wahrnehmung zur Symbolisierung im gesprochenen Wort und schließlich zur schriftlichen Symbolisierung aufsteigt.

Der Rezensent weist auf einen Forschungsbefund hin (Quelle: wikipedia Internet), der beides, die grundlegende Bedeutung der Wahrnehmung einerseits, die ordnende Funktion der Sprache andererseits, unterstreichen könnte: Eleanor Rosch lehrte an der University of California at Berkeley, in der Abteilung für Psychologie. Bekannt wurde sie durch ihre psycholinguistische Prototypen-Theorie. Sie zeigte aber auch, dass der Dani Stamm in Neuguinea - obwohl er keine Wörter für die Bezeichnung von Farben hat, mit Ausnahme von Schwarz und Weiß hat - dennoch zwischen anderen Farben unterscheiden kann. Diese Forschungsergebnisse widersprechen der Sapir-Whorf Hypothese, die behauptet, dass die Sprache die Gedanken bestimmt und zwar in einem Ausmaß, dass Menschen ein Konzept nicht verstehen können, für das ihre Sprache kein Wort kennt. Wahrnehmung muss daher etwas ganz Basales angesehen werden. Grundlegende Orientierung ist nicht (ausschließlich) an Begriffsbildung, verbale Symbolisierung gebunden. Analog könnte man vermuten, dass die Struktur der Schriftsprache nicht total bzw. notwendigerweise die Ausdrucks- und Kommunikationsfähigkeit determiniert. Dies entspricht dem Gedanken des Informationsstufensystems: Die Wahrnehmung der Farbunterschiede der Dani könnte der ersten Stufe (sinnliche Wahrnehmung) zugeordnet werden. Freilich könnte das Experiment auch im Sinne der Prototypentheorie (in diesem Fall die Farben Schwarz und Weiß als Prototypen für die Farbunterscheidungen) interpretiert werden.

Die Bedeutung der Sprechmotorik bzw. der Wahrnehmung der Lautbildung für den Schriftspracherwerb wird von anderen Forschungen eher als unwichtig eingeschätzt, da hier das Sprachsystem an sich nicht betroffen sei. Die Mundbild-Pictogramme sind allerdings ebenso als Informationsunterstützung für den Schriftspracherwerb anzusehen, wie die Verwendung von hilfreichen Zusatzhinweisen, etwa Handzeichensystemen, die entweder graphem- oder phonemorientiert sind (siehe z.B. Karin Reber (2009. Prävention von Lese-Rechtschreibstörungen im Unterricht. München: E.Reinhardt. Seite 133f). Der Einsatz von mundartikulatorischen Übungen ist auch bei unterschiedlichen Konzepten vorhanden. Auch das von Dreher so genannte Dehnsprechen findet sich in ähnlicher Weise anderswo: Zeitlupensprechen, abwechselnd mit Hochgeschwindigkeitssprechen nennt es Barbara Rodrian (2009. Elterntraining Sprachheilpädagogik: Hinweise auf beigefügter CD-ROM München: E. Reinhardt); Schneckensprache und Kaugummisprache heißt es bei Karin Reber /Wilma Schönauer-Schneider (2009. Bausteine sprachheilpädagogischen Unterrichts. Seite110. München: E. Reinhardt). Die angeführten Übereinstimmungen mit anderen Autoren zeigen, dass Wichtiges erfasst wurde.

Schriftspracherwerbsmodelle stellen das metasprachliche Wissen von Erstlesern in den Mittelpunkt; andere Konzepte betonen die Notwendigkeit von Wahrnehmung und Bewegung bzw. dementsprechenden Entwicklungsimpulsen. Da diese Auseinandersetzung als ein Echo auf die Auseinandersetzung zwischen Konzepten der funktionellen Aufbauübungen einerseits und Konzepten der pädagogischen Passungsbemühungen andererseits zu interpretieren ist, hängt es von der eigenen Erfahrung, Beurteilung und dem konzeptuellen Standpunkt des Lesers ab, inwieweit die KYM mit ihren Impulsen, Methoden und praktischen Übungen als konkrete didaktische und methodische Chance für Unterricht und Förderung in Kindergarten und Schule anspricht!

 

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
02.03.2010
Link
https://www.edugroup.at/bildung/paedagogen-paedagoginnen/rezensionen/detail/alle-kinder-lernen-deutsch.html
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