Arbeits- und Organisationspsychologie

Das Buch gliedert sich in fünf Kapitel. Kapitel I befasst sich mit den verschiedenen Menschenbildern, die der Organisation zugrunde liegen: Der homo oeconomicus (ein nur monetär motivierbarer, gewinnorientierter, zweckrational handelnder fiktiver Durchschnittsmensch; als Reaktion auf diesen...

Buchtitel: Arbeits- und Organisationspsychologie. 3. Auflage.
Autorinnen: Kirchler E
Verlag: facultas wuv
Erschienen: 2011

...nutzenmaximierenden Einzelkämpfer der "Social Man" mit seinen sozialen Bedürfnissen und seinem Zugehörigkeitsgefühl zum Unternehmen, zum Arbeitsteam und seiner Sinnsuche in der Arbeit; der "Self-actualizing Man", der sich am Arbeitsplatz selbst verwirklichen will - womit das Pendel von der Gruppenorientierung des "Social Man" wieder in Richtung Individuum schwingt; und schließlich der "Complex Man", ein Menschenbild, das sich von den vereinfachenden und generalisierenden Beschreibungen der bisherigen Modelle abheben will und die Vielfalt intra- und interindividueller Komponenten und deren Kombination zu komplexen Mustern betont. Auf der Basis dieser Perspektiven des Mensch(lich)en entwickeln sich entsprechende Organisationstheorien und Arbeitsgestaltungskonzepte,die im ersten Kapitel eingehend besprochen werden. Ein Beispiel ist die Human relations-Bewegung, die sich in der "Social Man"-Phase entwickelt. Den Abschluss des ersten Kapitels bilden optimistisch gehaltene Überlegungen zu einem neuen Menschenbild, das den neuen Möglichkeiten der Telekommunikation und des Teleworkings und der zunehmenden Befassung mit Virtualitäten Rechnung trägt - und auch dem postmodernen Engagement für Freiheit, Kreativität und Selbstverantwortung Geltung verleiht.. Ein Menschenbild, das den Menschen als Humankapital, als Quelle des Wissens, als Ressource in den Mittelpunkt stellt, den Menschen mit seinen Skills (Fertigkeiten und Wissen), mit seinen Talenten (individuelle Stärken) und mit seinen Smarts (soziale Kompetenzen und emotionale Intelligenz); den Menschen mit hoher Belastungs-Resilienz. Dazu kommt die lernende Organisation, die Personal Mastery, mentale Modelle, eine gemeinsame Vision, Teamlernen und Systemdenken vereinigt (S 180). Abgerundet wird die Beschreibung durch die "feminine Theorie der konsensuellen Organisation", die Wertschätzung und Gleichberechtigung in den Mittelpunkt stellt. Die Darstellung dieser Entwicklungen ist interessant, lässt aber einen wichtigen Bereich offen, der in einer kommenden Auflage zu berücksichtigen wäre: Den arbeitenden Menschen und die Organisation in Krisenzeiten! Die Ereignisse der letzten Jahre haben die Verwundbarkeit des Weltwirtschaftssystems bewusst gemacht, die Ereignisse der letzten Wochen haben die Labilität dieses Gefüges - als Reaktion auf die Urteile von Rating-Agenturen - besonders vor Augen geführt. Im vorliegenden Buch wird zwar betont, "dass es besonders in Krisenzeiten einer Person mit Entscheidungsgewalt bedarf" (S 175). Aber wie eine Organisation die Rezessions - Klippen durchschiffen kann, ohne zu kentern, ob durch aggressives Marketing, durch Einschränkung der Produktpallette, durch Konzentration auf relativ krisenfeste Angebote, durch Personalabbau, durch Teilarbeit, durch Verlagerung der Produktion in Länder mit niedrigeren Arbeitslöhnen, durch lean management (wie sie im Buch auf Seite 397 skizziert wird), durch Umwandlung in eine virtuelle Organisation (wie sie auf Seite 185ff beschrieben wird) u.v.a.m., wäre wert, behandelt zu werden. In einem derartigen Kapitel hätten auch Überlegungen Platz, wie eine Organisation resilienter werden kann, oder wie eine lernende Organisation das gänzlich Unerwartete in ihre prophylaktischen Maßnahmen einplanen könnte.

Kapitel II befasst sich mit der Arbeitsgestaltung (Analyse, Bewertung und Gestaltung der Arbeit). Hier seien aus der Fülle der Ausführungen und Anregungen die Wege der psychologischen Arbeitsgestaltung hervorgehoben (S 305ff) wie z.B. Job rotation, Aufgabenerweiterung, Aufgabenanreicherung (Vertiefung), Teilautonomie. Die Einführung von Qualitätszirkeln, Gesundheitszirkeln (S 310), das Berücksichtigen von Prinzipien (S 313f) wie: Nutzung eigener Kräfte (Judoprinzip), Mitverantwortung (Partizipationsprinzip), Suche nach Wegen der Veränderungen (heuristisches Prinzip), individuelle und systemische Entwicklung im Miteinander (Doppelhelix-Prinzip).

Das Kapitel III befasst sich mit intrinsischer und extrinsischer Motivation, mit Inhaltstheorien (z.B. die Maslow ´sche Bedürfnispyramide) und mit Prozesstheorien (wie das Rubikon--Modell). Aus der Vielzahl von Ergebnissen zu den verschiedenen Phasen (präaktional, aktional, postaktional) sei beispielhaft die postaktionale Phase und hier wiederum die Bewertung herausgegriffen, ob die Prozesse der Entscheidungsentwicklung einem fairen Vorgehen entspringen. Diese Verfahrensgerechtigkeit wird erlebt, wenn Zuteilungen konsistent erfolgen, wenn Unvoreingenommenheit herrscht, wenn genau recherchiert wird und relevante Informationsquellen ausgeschöpft werden, wenn Korrekturmöglichkeit besteht, wenn alle Interessen berücksichtigt werden und das Verfahren auch ethischen Grundsätzen entspricht (S 401).

Kapitel IV setzt sich mit Führung auseinander. Entsprechend einer Führungstypologie, die aus den beiden Achsen "Persönlichkeits-Eigenschaften/Führungs-Verhalten" einerseits und "Universelle/Kontingenztheorien" andererseits besteht und ein Vierfelderschema erzeugt, werden der Fokus Persönlichkeit (Eigenschaftsansätze), die Verhaltenstheorien, der Fokus Situation (Kontingenztheorien) beschrieben und ergänzt durch aktuelle Ansätze in der Führungsforschung wie die charismatische Führung (durch besondere persönliche Eigenschaften, besonderes Auftreten ausgeübter Einfluss), die transformationale Führung (z.B. Umwandlung von Eigeninteressen in kollektive Ziele), die ethische Führung, die systemische Führung und die symbolische Führung (im Mittelpunkt stehen die Symbole der Organisation, Rituale, Slogans, Logos, Bräuche..). Abgerundet wird Kapitel IV durch Hinweise auf die kulturübergreifende Führungsforschung und das Thema Frauen und Führung.

Kapitel V reflektiert über Entscheidungen z.B. Entscheidungsrisiko, -güte, Entscheidungen in Gruppen, Problemlösungen, Entscheidungsfehler bei der Situationsanalyse, bei der Verwertung von Informationen oder der Informationssuche selbst, bei der Strategienauswahl usw., Entscheidungsstrategien (hier sehr wertvoll die Checkliste auf Seite 590f) und Entscheidungstechniken sowie (z.B.autoritäre, beratende und gruppenorientierte) Entscheidungsstile.

Das mit Glossar, umfangreicher Literatur, Sach- und Personenregister fast 700 Seiten starke Buch vermittelt viel Wissen, veranschaulicht durch Leitfragen am Kapitelanfang, hervorgehobene Merksätze am Seitenrand, durch Zusammenfassungen, durch viele Fotos von bedeutenden Persönlichkeiten, durch Tabellen und Abbildungen und durch Fallbeispiele wie z.B. die Organisation einer Bäckerei nach den verschiedenen Menschenbildern. Die Autoren vermitteln nicht nur aktuelles Basiswissen für Studierende der Wirtschaftswissenschaften und der Psychologie (wie der Rückendeckeltext bescheiden formuliert), sondern auch ein Theorien- und Konzeptvademecum für alle, die aus persönlichen oder beruflichen Gründen über das Verhältnis von Menschen und Organisationen nachdenken, oder sich einen fundierten Überblick verschaffen wollen!

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
25.11.2011
Link
https://www.edugroup.at/bildung/paedagogen-paedagoginnen/rezensionen/detail/arbeits-und-organisationspsychologie.html
Kostenpflichtig
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