Entgleisungen in der Psychoanalyse

Es ist ein interessantes, wichtiges und berührendes Buch! In seinem großen Beitrag geht Schilling auf das Handeln des Psychoanalystikers ein. Neben Überlegungen etwa zur Bedeutung des triangulären Raums, der depressiven und paranoid schizoiden Position, der väterlichen Repräsentanz widmet sich...

Buchtitel: Entgleisungen in der Psychoanalyse. Berufsethische Probleme.
Autorinnen: Zwettler-Otte S
Verlag: Vandenhoeck & Ruprecht
Erschienen: 2007

...der Beitrag ethischen Grundfragen. Hier fällt z.B.der wichtige und maßvolle Satz, „dass die Frage nach richtigem oder falschem Handeln immer auch eine Frage der Bewertung unter der Voraussetzung eines bestimmten Kenntnisstandes zu einem bestimmten Zeitpunkt ist“( S.39). Die Kodifizierung ethischer Aspekte ist ein fundamentaler Versuch, Kriterien für das ethische Handeln zu formulieren. Das gelingt so grundsätzlich, dass die Formulierungen auch auf nicht-psychoanalytische Therapien anwendbar sind. Sehr gelungen z.B. die Definition: “Die Abstinenz des Psychoanalytikers ist in erster Linie als verantwortlicher Umgang mit den eigenen inneren Vorgängen zu verstehen, die in ihm im Zusammenhang mit seinem Patienten entstehen, und dem Bedenken der Auswirkungen seines daraus resultierenden Handelns“ (S 48f).Wertvoll auch der Hinweis auf die nicht unbedingte Kompatibilität von psychoanalytischen und normativ- judikativen Maßstäben. Ein weiterer wichtiger Abschnitt widmet sich der Konzeptualisierung einer Ethik-Kommission und der Bearbeitung ethischer Probleme im gegebenen Kontext. Hier gibt es viele wertvolle Gedanken, z.B. die Differenzierung zwischen innerer und äußerer Wahrheit. Diskussionswürdig erscheint die Frage, ob der Entscheidungsgrundsatz „Im Zweifelsfall für den Angeklagten“ hier als Parteinahme für die Zunft verdächtigt wird, denn manche Passagen wirken etwas voreingenommen, zumindest (S 74) wird festgestellt, dass die Patienten fast immer realitätsgerechte Beschwerden vorbringen und die Therapeuten sich meist problematisch verhalten haben. Die beschuldigten Psychotherapeuten sollen durch einen angemessenen Gesprächsraum zur differenzierten Abklärung geführt werden. Daher ist der abschließende Hinweis wichtig, dass Ethikkommissionen hier eine dritte, neutrale Position einzunehmen haben. Der Beitrag von Sandler beleuchtet die Gründe, wieso es dazu kommen kann, dass Probleme in einer Institution übersehen, geleugnet werden können. Der Beitrag schließt mit einem eindringlichen Appell für mehr Bewusstheit gegenüber den (ethischen) Gefahren der Psychoanalyse. Berührend sind die Ausführungen von Gabbard, die zeigen, wie die zu große Verantwortungs-Übernahme durch den Psychotherapeuten insbesondere für die existentielle Bedrohungssituation suizidaler Patienten zu einem Überangebot und schließlich zu Grenzverletzungen führen kann. Ganz aufschlussreich der Hinweis von Parsons, dass der Lehranalytiker eine Doppelfunktion wahrzunehmen hat: Der Analysand ist Patient und er ist Ausbildungskandidat – aus beidem ergibt sich eine Verpflichtung. Die Vereinfachung dieses Doppelaspektes stellt eine Verfehlung des Auftrags dar. Wichtig und berührend der Beitrag von Junkers über den altersbedingten Abschied vom Analytikersein – wichtig, weil der Lebenszusammenhang thematisiert wird, die Einsamkeit, das Nachlassen der Kräfte, die Krankheitsanfälligkeit. Abschließend bringt Zwettler-Otte die Vorteile und die Nachteile bzw. Risiken von kollegialem Erfahrungsaustausch auf internationaler Ebene zur Sprache. Der weitere Bezugsrahmen kann Sicherheit spenden, ja, Überich-Qualitäten annehmen, er kann zu größerer Abstraktion und Befreiung aus persönlichen Perspektiven verhelfen, zugleich kommt es aber auch zu Konkurrenzphänomenen, möglichen Relativierungen und Entwertungen!

Fazit: Lehrreich, lesenswert, diskussionsanregend!

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
10.03.2008
Link
https://www.edugroup.at/bildung/paedagogen-paedagoginnen/rezensionen/detail/entgleisungen-in-der-psychoanalyse.html
Kostenpflichtig
nein