Gehirn und Moral. Ethische Fragen in Neurologie und Hirnforschung

Der Leser taucht ein in eine fremde Welt: Koma, Demenz, Hirntod, Herztod, Gehirnbilder, Hirnstimulation, Neuroprothesen, Neuroenhancement, Neurotechnologie..Darüber hinaus erfährt der Leser Ethik als Reflexion der Moral


Autoren: Frings M u Jox RJ

Verlag: Stuttgart: Georg Thieme

Erschienen: 2015

Zum Inhalt

 

 

Der Neurowissenschaftler James L Bernat lobt die umfassenden und hilfreichen Informationen, die die beiden Autoren im Bereich Neuroethik vermitteln. Neuroethik ist - je nachdem, wo man den Fokus setzt - einerseits die Auseinandersetzung mit den ethischen Fragen und Problemen, die bei neurowissenschaftlicher Forschung oder klinisch-neurologischer bzw. neurochirurgischer Anwendung auftreten können, oder andererseits die neurowissenschaftliche Untersuchung der Moralvorstellungen.

 

Die einzelnen Beiträge in diesem Buch formulieren die 10 wichtigsten Fragen: 

Wie frei sind wir wirklich? Es geht um die Erkenntnisse der Hirnforschung über Moral.  Kann man ohne Sprache sein Einverständnis erklären? Dieser Beitrag setzt sich mit der Forschung an Nichtfreiwilligen auseinander. Wie geht man mit Komapatienten um? Das dritte Kapitel sucht nach dem Rätsel des Bewusstseins.·   Wie umgehen mit Menschen ohne Verstand und Sinnorientierung, wie kann man bei Demenz Entscheidungen über Leben und Tod treffen? Wie tot ist tot genug? Der Abschnitt hinterfragt (die Organentnahme) bei Hirntod und Herztod. Ist die genetische Diagnostik in der Neurologie eine Büchse der Pandora: Ärgernis und unheilbringend? Wer viel untersucht, findet viel, ist dabei nicht auch viel Zufälliges? Wie verändern Gehirneingriffe die Persönlichkeit des Menschen, z.B. die tiefe Hirnstimulation? Mensch oder Maschine? Das Kapitel behandelt Neuroprothesen, Brain-Computer-Interfaces. Neuro-Enhancement zur Leistungsverbesserung: Schneller, höher, weiter?

  Die jeweiligen Fallbeispiele betreffen Patienten, die aus der Fülle der Erfahrungen konstruiert sind - nicht real, aber doch voll Leben. Der Leser taucht ein in eine fremde Welt: Koma, Demenz, Hirntod, Herztod, Gehirnbilder, Hirnstimulation, Neuroprothesen, Neuroenhancement, Neurotechnologie..Darüber hinaus erfährt der Leser  Ethik als Reflexion der Moral, lernt die Moralpsychologie kennen, studiert neuropathologische Krankheitsbilder, d.h. Entwicklungsstörungen, Neurodegeneration, Läsionen. Auch rechtliche, soziale Fragen werden berücksichtigt. Das vermittelte Wissen ist eingebettet in die tief berührende Schilderung des Krankheitsverlaufs, z. B. bei dem jungen Mann David, den buchstäblich der Blitz trifft und der von da an im Wachkoma liegt. Oder der Niedergang der Balletteuse, die zunächst ihr zunehmendes Älterwerden mit ihrer Tätigkeit abgleichen kann, von der Tänzerin zur Tanzlehrerin zur Leiterin einer Tanzschule, bis sie sich völlig zurückzieht und verwahrlost, schließlich im Spital gepflegt werden muss und die Ärzte vor die Entscheidung stellt, ob der Einsatz lebenserhaltender Therapie sinnvoll ist. (Es gibt mehrere Entscheidungs-Modelle, wie z.B. die prinzipienorientierte ethische Falldiskussion nach Markmann, wobei Respekt vor der Autonomie des Patienten und die Gerechtigkeit gegenüber Verpflichtungen von mitbetroffenen Personen eine wichtige Rolle spielen.
Man erlebt auch hautnahmit, wie das Für und Wider zu einem Hirneingriff bei einem Parkinson-Patienten abgewogen wird, wie schließlich nach sorgfältigster Vorbereitung die Operation durchgeführt wird, diese auch gelingt - aber der Patient danach von seiner Frau als "irgendwie anders, fremd" beschrieben wird.

 

Fast wie im Vorübergehen bringen die Autoren im ganzen Buch verstreut wichtige philosophische Gedankenexperimente ein, um die philosophische Dimension der Erkrankungen sichtbar zu machen, bis hin zur Grenzziehung, etwa, wenn die Frage aufgeworfen wird, ob die Gehirn-OP die Seele des Patienten verletzt habe. Grenzziehung deswegen, "weil die Frage der Unsterblichkeit der Seele trotz des Fortschrittes der Neurowissenschaften und troz aller philosophischen Erkenntnisse eine Frage des Glaubens bleibt." (Seite 233).

 

Ein bewegendes Buch, das anders als Schriften, die ohne es zu merken, den Triumph des Materialismus in den Neurowissenschaften bejubeln, immer verschränkt bleibt mit der geistigen und gefühlhaften Seite des Menschlichen und demonstriert, dass eine gelungene Verbindung von Natur-und Geisteswissenschaft, Neurobiologie und philosophischer Anthropologie, eben von Gehirn und Moral möglich und fruchtbar ist.

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
10.10.2015
Link
https://www.edugroup.at/bildung/paedagogen-paedagoginnen/rezensionen/detail/gehirn-und-moral.html
Kostenpflichtig
nein