Gesundheitsförderung in der Schule

Es ist ein facettenreiches Buch, das der Autor, Mitarbeiter am Ludwig Boltzmann Institut für Medizin- und Gesundheitssoziologie und am Institut für Soziologie der Universität Wien, dem Thema der Gesundheitsförderung an Schulen widmet.

Buchtitel: Gesundheitsförderung in der Schule. Empowerment als systemtheoretische Umsetzung.
Autorinnen: Dür W
Verlag: Huber
Erschienen: 2008

Im ersten Kapitel geht es um einen Aufriss der Problemstellung, tatsächlich werden viele Belege dafür gesammelt, dass der Zusammenhang zwischen Schule und Gesundheit tiefer erforscht werden muss, wobei ein ergiebiger Zugang im Konzept des Empowerments gesehen wird. Dem soziologischen Auge entsprechend dominiert die soziologische Perspektive (soziale Ungleichheit, Familie und Gesundheit, ökologische Faktoren, psychosoziale Bedingungen des Schullebens, Bedingungen in den Lehr-/Lernprozessen usw.) bei der Analyse der Gesundheitsrisiken bzw. bei der Begründung von problematischen Verhaltensweisen. Ein Herzstück des Buches stellt das zweite Kapitel dar, das es auf rund 20 Seiten schafft, so schwierige Themen wie Kybernetik, Systembildung durch Differenzierung, Selbstorganisation, triviale Maschinen (d.h. in der Reaktionsweise fest gelegte Mechanismen) u.v.a.m. anzusprechen. Nicht immer gelingt es in dieser Kürze, vor der Verwendung von Begriffen deren grundsätzliche Klärung vorzunehmen bzw. die in der Verwendung vorausgesetzte Definition transparent zu machen: So z.B. beim schillernden Begriff des Mediums, dessen Verhältnis zur Form dem von Sinn und Kommunikation gleich gestellt wird. Oder bei der strikten Trennung der Operationsmodi Leben, Bewusstsein, Kommunikation, die aber dann doch von bestimmten Kommunikationsmedien, nämlich Geld, Macht, Liebe und Wahrheit durch ihre Verknüpfung mit vitalen Funktionen teils aufhebbar oder durch strukturelle Koppelung überbrückbar erscheint. Oder bei der Anführung von sogenannten symbiotischen Symbolen, die zugleich im Zitat von Luhmann als soziale Einrichtungen (sic!) definiert werden – dass Institutionen Symbolcharakter aufweisen, ist wahrscheinlich den meisten Lesern vertrauter, als Symbole als Einrichtungen aufzufassen. Nur der versierte Leser wird sich hier mit dem hermeneutischen Zirkelverstehensprozess helfen können.

Im dritten Kapitel wird Erziehung als soziales System beschrieben, Interessant ist dabei die Suche nach einer Primärunterscheidung (ähnlich wie bei Recht/Unrecht im Rechtswesen, Wahrheit/Irrtum in der Wissenschaft) für die Erziehung und dem Vorschlag, sie in der Differenz von vermittelbar/nicht vermittelbar zu sehen, nachdem zuvor die Erziehung als beabsichtigt von der nicht beabsichtigten Sozialisation unterschieden wurde. Es geht dabei um die Vermittlung von Wissen. Hier wird die systemtheoretische Abstraktion allerdings deutlich, denn das pädagogische und psychologische Auge wird es schmerzen, wenn auf Seite 83 kein Unterschied in der Vermittlung von Menschlichkeit und Reife einerseits und der von Fachkenntnissen andererseits gemacht wird. Jedenfalls ist aber die in diesem Abschnitt getroffene Erörterung verschiedener Codes der Unterscheidung (z.B. bestanden/nicht bestanden; positiv/negativ; besser/schlechter) sehr spannend zu lesen.

Überzeugend wird im Kapitel 4 dargelegt, wie notwendig Empowerment ist, wenn man darunter die faszinierende Balance von gesellschaftlicher Organisationsmacht und individueller Operationsweise versteht. Einleuchtend wird die Notwendigkeit des Empowerments aus den Wirkungen der Gesellschaft auf sie selbst und den damit verbundenen Steuerungsproblemen abgeleitet und daher für Flexibilisierung, Kreativitat und Eigenverantwortung plädiert (S 146f). Spannend die Wahl einer grundlegenden Entscheidung in Form der Differenz empowerment/trivialisierend, die dann auch als Operationalisierung für die Emowerment- Messung verwendet wird und z.B. auf die Mitbestimmung in der Schule, im Unterricht, auf die Unterstützung von Lehrerseite und auf das Klassenklima angewendet wird. Die Fülle der nun folgenden Daten und Überlegungen, z.B. auch zur Messung von kovariierenden Faktoren wie soziale Ungleichheit, familiärer Hintergrund und individuelle Ressourcen kann hier nur angeführt werden. Ein Ergebnis findet der Autor selbst besonders interessant und soll daher hier stellvertretend angeführt werden: Während Empowerment die Selbstwirksamkeitsüberzeugung deutlich beeinflusst, aber nicht die Lebenszufriedenheit, hat die familiäre Beziehungsqualität (Bonding) eine starke Auswirkung auf die Lebenszufriedenheit, aber nicht auf die Selbstwirksamkeitsüberzeugung. Beide, Selbstwirksamkeitsüberzeugung und Lebenszufriedenheit (letztere kann im beschriebenen Modell dann doch auch durch die Schule mitbeeinflusst werden) haben einen deutlichen Zusammenhang mit Gesundheit. Die Ergebnisse hängen auch mit dem Alter der Befragten zusammen, die jüngeren (11 jährigen) Schülerinnen und Schüler zeigen sich stärker von der Familie beeinflusst.

Das ergiebige Buch wird abgeschlossen durch drei Beispiele von Schulen, die nach dem viel oder wenig vorhandenen Empowerment, nach der niedrigen, mittleren oder hohen Selbsteinschätzung von Gesundheit und nach der Schichtzugehörigkeit und schließlich auch nach Regionalität (Stadt, Land) ausgewählt wurden. Für Psychologen interessant ist die Einleitung zu diesem Kapitel (S 197ff), weil hier der Blick auf die psychischen Faktoren gelenkt wird und eine Reihe sozialpsychologischer Fragen aufgeworfen wird. Ein lehrreiches Buch, das auch zur Umsetzung der Erkenntnisse ermutigt.

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
25.03.2008
Link
https://www.edugroup.at/bildung/paedagogen-paedagoginnen/rezensionen/detail/gesundheitsfoerderung-in-der-schule-1.html
Kostenpflichtig
nein