Gruppenpsychotherapie
Von der Indikation bis zu Leitungstechniken
Die Gruppenpsychotherapie erfährt durch das von Volker Tschuschke herausgegebene Buch ein überzeugendes Plädoyer. Der interpersonale Behandlungsansatz wird in seinen reichhaltigen, vielfältigen Anwendungen nachvollziehbar demonstriert...
Buchtitel: Gruppenpsychotherapie. Von der Indikation bis zu Leitungstechniken.
AutorInnen: Tschuschke V (Hrsg)
Verlag: Stuttgart: Georg Thieme
Erschienen: 2010
Zum Inhalt
Die genussvolle Lektüre dieser neu gestalteten Buches über die Gruppenpsychotherapie beginnt schon mit der strategischen Kapiteleinteilung: Zum Beginn wird der Leser in das Gruppenparadigma eingeführt. Die interpersonale Behandlungsebene wird auf vier verschiedenen Wegen nahegebracht: Die Grundlagen und Zugänge zur Gruppenpsychotherapie, Fragen der Ethik und der Qualitätssicherung, ein Vergleich zwischen Einzelsetting und Gruppensetting hinsichtlich Effektivität und Effizienz. Ergänzend wird in diesen ersten Abschnitt noch ein kurzer Hinweis auf Gruppenrollen und Gruppenentwicklung eingebracht.
Daran schließt nun ein zweiter Abschnitt, der sich mit Fragen der Ausbildung und Supervision befasst. Hier kommen u. a. Überlegungen zu den Rahmenbedingungen, zur Selbsterfahrung als Ausbildungsbestandteil, zur Professionalisierung und Verwissenschaftlichung, zu verschiedenen Settings wie Teamsupervision und Balintgruppen.
Die weiteren Abschnitte bauen logisch aufeinander auf, gehen zunächst auf die Phase vor Gruppenbeginn ein, befassen sich mit den Techniken der Gruppenleitung (beim klientenzentrierten, beim verhaltenstherapeutischen und beim tiefenpsychologisch fundierten Ansatz), mit dem Gruppenprozess (Übertragung und Gegenübertragung, Widerstand, der schwierige Patient, Umgang mit Genderfragen sowie mit Schamaspekten bei der Selbstöffnung in der Gruppe), mit den Behandlungseffekten, mit den Formen der Gruppenbehandlung (homogen, heterogen, störungs(un)spezifisch, geschlossen oder halboffen, Kurzzeit- oder Langzeitgruppenpsychotherapie).
Weiter geht es zu bestimmten Settings (Rehabilitation, Persönlichkeitsstörungen, Tagesklinik, Psychiatrie); Abschnitt IX schildert eingehend den Umgang mit spezifischen Populationen, zunächst solchen aufgrund unterschiedlichster Krankheiten und Störungen, dann mit den altersbezogenen Populationen Kinder und Jugendliche sowie alten Menschen. Der nächste Abschnitt geht auf basale Konzepte ein, z.B.: Gruppenanalyse, psychodynamische Gruppentherapie, interpersonale, psychodramatische, gestalttherapeutische Gruppentherapie.Auf einige Punkte sei kurz eingegangen. Auf Seite 18f. schreibt Tschuschke:" Schindler benennt vier Positionen bzw. Rollen als stets in Gruppen wirkend: Alpha-, Beta-, Gamma- und Omegapositionen. Die Alphaposition werde vom Leiter ausgefüllt.." ---Demgegenüber gibt es Auffassungen, denen zufolge die klassische Position des Leiters in seiner zurückhaltenden, kommentierenden, beobachtenden, deutenden Rolle die Betaposition sei. Alphaposition - gebunden an den Leiter - dürfte eher bei leiterzentrierten Gruppenformen gegeben sein. Es gibt aber auch die Möglichkeit, von der Gammaposition, von der Omegasituation die Möglichkeiten des Leiters zu reflektieren.
Auf Seite 42 kommt Rosin zu dem Urteil:"Die Effektivität von Balint-Gruppen ist wissenschaftlich nicht ausreichend belegt. "Es ist interessant, dass der gewohnte Verbesserungsvorschlag erfolgt, wobei eine ausreichende Operationalisierung gesucht wird, die die Erfassung von Vorher- Nachher-Veränderungen ermögliche. Dabei, so die Argumentation, kann auch der Hinweis auf die nicht direkt von außen erfassbaren unbewussten Vorgänge die Suche nach statistischen Zugängen nicht obsolet machen. Diese Problematik trifft alle psychotherapeutischen Methoden, bei denen die Behandlungseffekte sich nicht direkt manifestieren. Man könnte versuchen, statt einer Ergebnisevaluierung auch Prozesse zu beleuchten, statt summative formative Evaluation anzudenken, statt die therapeutischen Methoden der Operationalisierbarkeit anzunähern, bzw. selektiv nur Beobachtbares aufzugreifen, die Methoden der wissenschaftlichen Beobachtung auszuweiten (so wie es einst eine echte Erweiterung darstellte, als die statistische Einzelfallanalyse eingeführt wurde; oder wie auch die qualitative Forschung eine Bereicherung darstellte). In diesem Sinn kann auch der Beitrag von Haubl gelesen werden, in dem auf die Bedeutung des impliziten Wissens hingewiesen wird. Diese hat mit dem praktischen Können zu tun, mit dem Gespür, mit dem Einsatz von Erfahrungen. "Wir wissen mehr, als wir sagen können", zitiert der Autor Polanyi, der 1966 diesen Begriff eingeführt hat. Auch das betrifft die Psychotherapie insgesamt. Der praxisferne Idealtypus des expliziten Wissens, wie ihn die wissenschaftlichen Forschungsresultate formulieren, würde als Leitlinie des therapeutischen Handelns eine starke Reduktion bedeuten.
Eine Anmerkung noch: Es findet sich eine nicht näher erläuterte Variabilität der Bezeichnung in der Form, dass von Gruppenpsychotherapien und von Gruppentherapien die Rede ist. Drückt sich hier eine bestimmte Auffassung aus oder ist eine Synonymität anzunehmen?
Das Buch ist klar geschrieben, eine wertvolle Orientierungshilfe in allen Fragen, die sich in Zusammenhang mit Gruppen(psycho)therapie ergeben. Als - nicht wertende - Beispiele seien angeführt die Übersicht über mentalisierungsfördernde und -hemmende Äußerungen (Seite 324). Mentalisierung ist die Fähigkeit zur Einsicht in eigenes Wünschen, Bedürfen, Meinen etc. und in das anderer Menschen. Ein weiteres Bespiel stellt das Modell der Abfolge interpersonalen Lernens in der Gruppe (Seite 304) dar. Es wirkt auf den Rezensenten wie das gruppenbezogene Pendant zur Entwicklung der Persönlichkeit nach Rogers (dem Begründer des personzentrierten Ansatzes).Angeführt soll noch Kapitel 53 werden, das durch seine Prägnanz und glasklare Gliederung besticht (Seite 264ff).
Die Gruppenpsychotherapie erfährt durch das von Volker Tschuschke herausgegebene Buch ein überzeugendes Plädoyer. Der interpersonale Behandlungsansatz wird in seinen reichhaltigen, vielfältigen Anwendungen nachvollziehbar demonstriert. Das Buch hat sicher auch Nachschlagcharakter, in erster Linie aber ist es ein Motivator dafür, sich wieder mehr mit dem faszinierenden Terrain der therapeutischen Gruppe zu befassen!