Pädagogische Psychologie

Das Buch(dessen Titel konkreter und stimmiger lauten müsste: "Informationsverarbeitung und Lernprozesse als wichtige Aspekte der Pädagogischen Psychologie") ist didaktisch-methodisch gut aufbereitet.

AutorInnen: Fritz A, Hussy W u Tobinski D

Verlag: UTB basics. München: Reinhardt
Erschienen: 2014 (2. durchgesehene Auflage)

Zum Inhalt

Das Buch nennt im Vorwort eine spezifische Zielsetzung: Lernprozesse sollen unter dem Paradigma der Informationsverarbeitung betrachtet werden, ein Rahmenmodell zur Informations- und Wissensverarbeitung (abgekürzt: RIW) soll helfen," Prozesse der Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Verarbeitung sowie Speicherung von Informationen und Neukonstruktion von Wissen einzuordnen. Das Modell dient der integrativen Betrachtung empirischer Befunde und gesicherter Modelle zu den einzelnen Komponenten" (Seite 9). Zunächst aber der Aufbau des Werkes: Nach der Einführung in Begriffe, Geschichte und Methoden (sehr verständlich und anschaulich die Ziele und Methoden der wissenschaftlichen Forschung) folgt ein Kapitel über die kognitiven Determinanten des Lernerfolgs im Unterricht (Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Strukturen und Prozesse im Arbeitsgedächtnis, Langzeitgedächtnis, sowie Problemlösen, Planen und Metakognition), weiter ein Kapitel  über Intelligenz, Motivation und Emotion als Determinanten des Lernerfolgs im Unterricht). Den Abschluss bilden Lerntheorien und pädagogisches Handeln.

Das Rahmenmodell RIW ist auf Seite 41 dargestellt: Aus der Umwelt kommen Informationen über die Sinnesorgane und das sensorische Register ins Langzeitgedächtnis, wobei eine Interaktion mit dem von einer Steuer-und Kontrollinstanz beeinflussten Arbeitsgedächtnis stattfindet, die schließlich in ein offenes Verhalten mündet. Es gibt also wichtige Schnittstellen zur Umwelt, die Perzeptionen sowie Gedanken und Begriffe  werden allerdings nur zu einem geringen Bruchteil an das Arbeitsgedächtnis weiter geleitet, alles andere bleibt unbewusst, es erfolgen  intentionale Verknüpfungen von Informationen  (Denken und Problemlösen) im Arbeitsgedächtnis usw.

Bei den Zielen wissenschaftlicher Forschung,  Beschreiben, Erklären, Vorhersagen und Verändern,  wäre ein kurzer Exkurs zum Verstehen bzw. zum Verhältnis zwischen Erklären und Verstehen wertvoll. Nicht alles lässt sich naturwissenschaftlich erklären. Gegenseitige Verständnissuche ist besonders in der Schule wichtig, wenn es um die Einfühlung in die Intentionen und Befindlichkeit des anderen geht.  Fragen der Beziehung zwischen Lehrern und Schülern erhalten im Buch nur kurze Hinweise , die Probleme der Kommunikation,  Störfaktoren und Verhaltensschwierigkeiten finden kaum Erörterung - diese Selektivität  entspricht dem kognitiven Fokus des Buches . Damit erhebt sich die Frage: Wer ist der Adressat des Buches? Die Adressatenfrage hängt mit der Gegenstandsbestimmung der Pädagogischen Psychologie zusammen. Die Autoren definieren ihn zwar als Schnittstelle zwischen Pädagogik und Psychologie. Allerdings besteht keine Parität zwischen den beiden Disziplinen, sondern näher betrachtet geht es  um Psychologie, die auf den Anwendungsbereich der Pädagogik  konzentriert wird.  Psychologische Erkenntnisse, Methoden werden dargestellt, die Ergebnisse empirischer Forschung  zum menschlichen Erleben, Verhalten und Handeln  werden aufgezeigt und können nun auf die Prozesse des Erziehens, Unterrichtens und Bildens angewendet werden. Beispielhaft für die Intention des Buches ist das Kapitel über die Wahrnehmung, das über Konturen, Figuren, Gestalten und deren Gesetze referiert und die Relevanz der Ausführungen so belegt: "Anders als beim Schulbuch hat der Lehrer hier einen direkten Einfluss auf die Gestaltung und er sollte daher sein Wissen um die Gestaltgesetze bewusst einsetzen." (Seite 54f)

Was wäre eine Alternative zu dieser "Rollenverteilung" (Psychologie als Quellwissenschaft und Pädagogik als Kontextselektion)?  Nun wäre die Pädagogik die Grundlage, es könnten typische pädagogische Situationen ausgewählt werden und nun wird die Psychologie befragt, mit welchen Mitteln und Erkenntnissen sie zur Gestaltung dieser Situationen beitragen könnte. Dieser Praxisbezug würde Lehrer mehr ansprechen. Die vorliegende Gewichtung  und die ausführliche Darstellung der Grundlagen lässt daran denken, dass das vorliegende  Buch eine bestimmte Einführungsintention verfolgt, sowohl für Pädagogen (Blick in die Nachbarwissenschaft Psychologie) als auch für Psychologen (Modelleffekt für Anwendung des psychologischen Wissens auf ein bestimmtes Gebiet).

Einige Anmerkungen seien gestattet.  Auf Seite 99 wird behauptet, dass in der Trance es zu einer Abgabe der Ich-Kontrolle komme. Das stimmt in dieser Absolutheit nicht: Die Abgabe der Ich-Kontrolle ist so zu verstehen, wie wenn man sich einem Ausstellungsführer anvertraut und seinen Schritten folgt, aber selbstverständlich jederzeit vom Besichtigungskurs abweichen kann oder ihn beenden kann. Diese Souveränität des Hypnotisierten ist eine wichtige Erkenntnis aus der Hypnotherapie.                                                                   

Das Buch folgt dem Rahmenmodell ab dem zweiten Kapitel (das erste ist der Einführung in Begriffe, Geschichte und Methoden gewidmet) und befasst sich mit der Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, mit Strukturen und Prozessen im Arbeitsgedächtnis, im Langzeitgedächtnis und schließlich mit Problemlösen, Planen und Metakognition und dann außerhalb des Rahmenmodells mit den weiteren Determinanten des unterrichtlichen Lernerfolgs Intelligenz, Motivation und Emotion (Seite 17 zeigt diesen Aufbau). Die Ausführungen zeigen sehr schön, wie verschiedenste Theorien zur Informationsverarbeitung in das Rahmenmodell integrierbar sind. Was dem Rezensenten wichtig erscheint, wäre  eine Relationsfeststellung zwischen den Rahmenmodell- Komponenten Wahrnehmung, Aufmerksamkeit etc. und den Determinanten Intelligenz, Motivation und Emotion bzw. ein Einbau oder Zubau dieser Determinanten in das Modell. (Angenommen die Höhe der Intelligenz korreliert positiv mit der Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung, so könnte die Intelligenz in das RIW integriert werden mit dem Hinweis auf die Schnelligkeit der Informationsweitergabe von den Sinnesorganen zum sensorischen Speicher zum Langzeitgedächtnis usw.).

Die Bezeichnung "unterbewusst" ( z.B. Seite 100) ist ursprünglich eine intendierte Raummetapher gewesen, aber durch das Wort "unbewusst" abgelöst worden.

Auf Seite 102 wird behauptet, dass  Informationen mit hoher Relevanz für eine Person bzw. deren Selbstbild  einen hohen Aktivationsgrad besitzen und aus dem (vorbewussten) Gedächtnis gut abrufbar seien. Das stimmt in dieser Generalisierung nicht: Negative Informationen in Bezug auf das Selbstbild mit hoher Relevanz für die Person können besonders intensiv verdrängt werden.

Auf Seite 218 wird  ausgeführt:" Nach dem humanistischen Menschenbild von Carl Rogers ist der Lehrer dazu aufgefordert, ein sozial-emotionales Wohlbefinden in seinen Schülern zu erzeugen". Nach intensiver Auseinandersetzung mit dem Rogers-Konzept und der persönlichen Begegnungserfahrung mit  Rogers konnte der Rezensent nicht feststellen, dass ein besonderer Effekt angestrebt werden müsse (pädagogische Wärme), es ging Rogers um die Haltung des Beraters, Therapeuten, um bedingungslose Wertschätzung.

Auf Seite 217 wird eine Klassifikation leistungsbezogener Emotionen vorgenommen, der zeitliche Aspekt wird ausgedrückt mit den Worten retrospektiv, prozessbezogen (besser wäre introspektiv) und prospektiv. Negativen Emotionen wie Traurigkeit, Enttäuschung, Langeweile, Angst etc. werden gegenüber gestellt Ergebnisfreude, Erleichterung, Lernfreude, Hoffnung. Präziser wäre Traurigkeit-Heiterkeit, Enttäuschung- Bestätigung, Langweile - Interesse, Angst - Mut.

Das Buch(dessen Titel konkreter und stimmiger lauten müsste: "Informationsverarbeitung und  Lernprozesse  als wichtige Aspekte der Pädagogischen Psychologie."  Oder: " Ein Rahmenmodell für die Informations- und Wissensverarbeitung sowie der Lernprozesse  als wichtige Aspekte der Pädagogischen Psychologie.")   ist didaktisch-methodisch gut aufbereitet: In drei, vier Sätzen am Anfang jedes Kapitels wird die Zielsetzung umrissen, es folgen ein kurzer Inhaltsüberblick,  Beispiele, Abbildungen; kurze  prägnante Randnotizen bringen den Kern des jeweiligen Wissens ein,  Zusammenfassungen am Ende und Übungsaufgaben gliedern das Buch variantenreich und effektiv!

 

 

 

 

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
13.10.2014
Link
https://www.edugroup.at/bildung/paedagogen-paedagoginnen/rezensionen/detail/paedagogische-psychologie.html
Kostenpflichtig
nein