Primärprozess, Emotionen und Beziehungsmuster in Tagträumen

Isabelle Meier, geb. 1956, studierte Geschichte und Philosophie in Zürich. Von 1990 bis 1997 folgte das Studium der Psychologie und die Ausbildung zur Analytischen Psychologin am C. G. Jung-Institut in Küsnacht, von 1998 bis 2004 diejenige zur katathym-imaginativen Psychotherapeutin. Seit 1997...

Buchtitel: Primärprozess, Emotionen und Beziehungsmuster in Tagträumen
Autorinnen: Meier I
Verlag: Lang
Erschienen: 2005

...arbeitet sie als Psychologin In eigener Praxis. 2004 promovierte sie an der Universität Zürich mit dieser Arbeit. Bei dieser handelt es sich um eine explorative Studie über Imaginationen. Das Ekenntnisinteresse betrifft die Frage, wie in Imaginationen unbewusste und vorbewusste Beziehungsmuster bearbeitet und neue Erlebnis- und Verhaltensmöglichkeiten erprobt werden können. Untersucht wird, ob Imaginationen den Primärprozess aktivieren und wieweit in ihnen Emotionen und Beziehungsmuster positiver ablaufen als in Wacherzählungen. Im empirischen Teil der Arbeit werden die Hypothesen anhand von 20 Tagträumen von 12 Probandinnen und Probanden untersucht. Im theoretischen Teil des Buches befasst sich MEIER mit Imaginationen – und zwar aus der Sicht C. G. JUNGs und aus der H. C. LEUNERs, dem Primärprozess (laut Definition nach S. FREUD, R.R. HOLT und P. NOY) der Multiplen Kodierungstheorie (nach W. BUCCI) der Speicherung von (frühen) Beziehungsmustern im prozeduralen Gedächtnis; impliziten Gedächtnis bzw. im RIG und Episodengedächtnis sowie der Funktion des Traumes nach FREUD, JUNG und in der neueren Traumforschung. Die Darstellung der verschiedenen Thesen im theoretischen Teil ist sehr verständlich und gut nachvollziehbar und bietet einen guten Überblick über für die KIP relevante neuere Erkenntnisse zur Bedeutung und Funktion von Imaginationen, zum Wesen des Primärprozesses in Abgrenzung zum Sekundärprozess, zur Entwicklung der Symbolisierungsfähigkeit sowie zum Verhältnis von nonverbalen emotionalen System und verbalen System u.a.

Des Weiteren führt MEIER verschiedene empirische Studien an, die sich mit dem Primärprozess im Tag- und Nachttraum, Emotionen im Tag- und Nachttraum und mit Beziehungsmustern befassen.

MEIER befasst sich in diesem Zusammenhang mit dem Unterschied von Tag- und Nachttraum – ihrer Ansicht nach unterscheidet sich der Tagtraum dadurch, dass er in statu nascendi zu beobachten ist und auf Band aufgenommen werden kann. MEIER weist dann darauf hin, dass Traumberichte oft erst Wochen später in die Therapie kommen, dass sich Traumgeschichten , je nachdem, wann wo und wem bzw. in welcher Form sie erzählt werden, Veränderungen erfahren. Sie weist ausdrücklich daraufhin, dass man es immer nur mit dem Traumbericht zu tun hat. Das ist sehr gut und richtig, gilt aber m. E. nicht nur für den Nachttraum, sondern auch für den Tagtraum in der KIP (auch hier kann man den Traum selbst nicht erfassen, sondern nur die sprachliche Mitteilung des Klienten – ist wiederum abhängig von Geschlecht, sozialer Status, psychologische Faktoren, Einzel-, Paar-, Gruppentherapie u. a.)! MEIER referiert in der Folge verschiedene Studien, die sich u. a. mit dem Unterschied von Tag- und Nachtträumen befassen z. B. STIGLER/POKORNY, STRAUCH/MEIER

In einem weiteren Abschnitt diskutiert MEIER das Auftreten von Emotionen in Tag- und Nachtträumen – sie geht von einer Balance von positiven und negativen Emotionen aus. Sehr gut ist, dass sie auf die Schwierigkeiten verweist bei der Analyse von Emotionen in Träumen (Kategorisierung, Selbst- und Fremdbeurteilung, generelle Atmosphäre des Traumes, zu untersuchendes Material (spontan erinnerte Träume vs. Traumtagebücher, …). In Bezug auf Beziehungsmuster in Träumen stellt MEIER fest, dass Studien gezeigt haben, dass bei neurotischen Störungen Patienten eher negativ über ihre eigenen Reaktionen und die ihrer Interaktionspartner berichten und sich dies im Laufe einer Therapie ins Positive verändert. Im empirischen Teil ihrer Arbeit geht MEIER dann von verschiedenen Hypothesen aus: Z.B. Imaginationen und Nacherzählungen enthalten gleich viel Primärprozess. Es gibt keine signifikanten Unterschiede. In den Reflexionen kommen hingegen signifikant weniger Primärprozesswörter als in den Imaginationen vor.

Zur Analyse verwendet MEIER computergestützte inhaltsanalytisch orientierte Methoden:

1. Regressive Imagery Dictionary (RID) nach MARTINDALE zur Erfassung des Primär – und Sekundärprozessvokabulars (Diktionär enthält etwa 2900 Wörter, die bestimmten Themenkomplexen zugeordnet sind z. B. Triebe, defensive Symbolisierung, Empfindung vs. Abstraktes Denken, Verhalten)

2. Affective Dictionary Ulm (ADU) nach HÖLZER zur Erfassung von Emotionen (enthält vor allem Nomen und Adjektive mit affektiver Konnotation), wobei 8 Kategorien unterschieden werden Liebe und Begeisterung (positive Objektemotionen), Freude und Zufriedenheit (positive Selbstemotionen), Zorn und Furcht (negative Objektemotionen) und Depressivität und Ängstlichkeit (negative Selbstemotionen)

3. Zentrales Beziehungskonflikt-Thema (ZBKT) von LUBORSKY zur Erfassung internalisierter Beziehungsmuster – Analyse von Beziehungsepisoden, die einen Wunsch, eine Reaktion eines Objekts und eine Reaktion dies Subjekts enthalten

Untersuchungsmaterial bei MEIERs eigener Studie sind:12 Schweizer Psychotherapeuten, die an 3 verschiedenen Seminaren (1998-1999) der Schweizer Arbeitsgemeinschaft für KIP teilgenommen hatten, Erfahrene Therapeuten (Psychologen und Psychiater zwischen 26 und 54 Jahren, 8 Männer und 4 Frauen)

- Tagträume, wobei die 12 Probanden abwechselnd Patient und Therapeut waren; meist Standardmotiv nach LEUER (nach den Regeln der Ulmer Textbank transkribiert – MEIER nennt sie Direktträume)

- Verbatim-Protokolle der Nacherzählung dieser Träume (einige Stunden später in der Gruppe der Psychologen und Psychiater) – Narrative genannt, wobei Angaben, Bemerkungen der Gruppe, biographische Hinweise nicht enthalten waren

- Verbatim-Protokolle der Reflexion zu den Tagträumen in der Gruppe, wobei der „Therapeut“ Fragen stellte oder Assoziationen anregte – Elaborationen genannt

- Die Ergebnisse sind recht interessant, z.B. hoher Anteil von Primärprozesswörter in den Imaginationen und auch noch bei Narrativen, hoher Anteil an Sekundärprozesswörter im nicht-imaginativen Setting (Elaborationen), keine Unterschiede zwischen Direktträumen und Narrativen in Bezug auf emotionalen Gehalt – signifikant weniger negative Emotionen in Tagträumen als in Elaborationen u.v.a.m.

Für weitere Untersuchungen wäre es wichtig, einige weitere Variablen zu berücksichtigen, z.B. anzugeben, welche Motiv den einzelnen Träumen zugrunde lag – es hängt das Auftreten von positiven vs. Negativen Emotionen auch von der Motivauswahl ab, Frage auch, inwieweit alle Träume miteinander vergleichbar sind, für die Analyse von Texten sind sicher auch soziologische und psychologische Faktoren relevant (z.B. die gewählte Personenstichgruppe), weiters müsste man auch den Kontext berücksichtigen, in dem Emotionen thematisiert werden und ebenso wichtig zu hinterfragen, worauf sich die Emotionen beziehen (Träumer selbst, Objekt im Traum, Bewertung des Traumes im Nachhinein, …).

Insgesamt aber ein wichtiges und faszinierendes Buch, ein gelungener Vorstoß in ein relativ unbekanntes Land, eine rationale Zugangsweise zu einem Themenbereich, der als irrational gilt, und dies alles in einer Sprache, die auch den nicht fachkundigen Leser voll mitnimmt.

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
31.10.2007
Link
https://www.edugroup.at/bildung/paedagogen-paedagoginnen/rezensionen/detail/primaerprozess-emotionen-und-beziehungsmuster-in-tagtraeumen.html
Kostenpflichtig
nein