Wie Menschen sind. Eine Anthropologie aus psychotherapeutischer Sicht.
Das Buch ist aufgrund seiner Verständlichkeit und Relevanz sowohl für psychotherapeutische Anfänger, aber auch für Erfahrene, sowie für „Laien“ ein wertvoller Anstoß zur eigenen Reflexion!
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Verlag: Stuttgart Schattauer Reihe Wissen und Leben utor: Rudolf G
Erschienen: 2015
Zum Inhalt
Der Autor ist Arzt, Psychoanalytiker, unter anderem ehemaliger Leiter der Psychosomatischen Universitätsklinik Heidelberg, immer im Bestreben, die Psychotherapie wissenschaftlich zu fundieren und ihre Weiterentwicklung zu stimulieren. So hat er z.B. ein Buch über die Strukturbezogene Psychotherapie geschrieben, das erst vor kurzem vom Rezensenten besprochen wurde.
Der Autor meint bescheiden, dass der Hinweis auf den Versuch, Stücke einer Anthropologie zusammen zu tragen, es nahe lege, den Text als Essay zu verstehen(Seite VII). Das Buch verdient aber volle Beachtung auch unter wissenschaftlichen Aspekt, darüber gibt es keinen Zweifel, auch wenn Rudolf sich einer sehr verständnisorientierten Alltags-Sprache bedient.
Der Autor breitet einen originellen und zugleich einleuchtenden Fächer aus: Er führt seine Gedanken nacheinander über den animalischen Menschen aus (Triebhaftigkeit, Sexualität, Aggression etc.), dann über den emotionalen Menschen (Bindung, Liebe..), über den denkenden Menschen (Sprache und Denken, selbstreflexives Denken, das Subjekt u. v. a. m.). Weitere Kapitel widmen sich dem religiösen Menschen (Sinnsuche, Mythisches, Spiritualität usw.), dem moralischen Menschen (Tugenden, das Böse,..), dem gesellschaftlich geprägten Menschen (Menschenbilder, Zeitlichkeit, Krankheit, Tod..), dem kultivierten Menschen (Kunst, Psychologie des Schriftstellers usw.).. Die abschließenden Kapitel thematisieren die Menschenbilder in der Psychotherapie, anthropologische Erweiterungen (z.B. durch Einbeziehung des Konzepts der Grenzsituation, wie es Karl Jaspers entwickelt hat) und schließlich wird eine Verdichtung der verschiedenen Menschenbilder in einer zusammenfassenden Anthropologie dargestellt mit dem Fazit: Freiheit und Begrenzung. Der Autor betont den Adel der Freiheit (Ausdruck von Jaspers), die Freiheit des Denkens, Entscheidens und Handelns, aber auch die Verantwortung „deine Freiheit findet ihre Begrenzung in den natürlichen Rechten der anderen und in der naturgemäßen Begrenztheit deines zeitgebundenen Daseins“ (Seite 332).
Ein Glanzstück ist der Text (ebd): „ Die Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte bedeutet, dass wir das Ziel der Psychotherapie nicht darauf beschränken sollten, dass der Patient seine unbewussten Bedürfnisspannungen, seine dysfunktionalen Beziehungsmuster und seine biografischen Belastungserfahrungen zu verstehen und zu handhaben lernt, sondern auch die Möglichkeit erhält, sich in einem tieferen Sinne mit den Bedingungen der menschlichen Existenz und seiner gesellschaftlichen Situation auseinanderzusetzen.. Diese Bedingungen des Menschlichen schließen das ganz Persönliche, Schicksalshafte, Biografische und Zeittypische ebenso ein wie das Übergreifende..“ Diese Dimensionen sollte auch der Therapeut reflektieren. Damit kehrt der Autor wieder zu seinem Eingangsstatement in der Einleitung zurück:“Es genügt jedoch nicht, sich die Welt vordergründig evident zu machen und sie rational zu erklären und philosophisch zu reflektieren, es ist abschließend auch notwendig, sich dazu wertend einzustellen, das heißt, moralische Konsequenzen zu ziehen" (Seite 8).
Dem Autor ist zweifach zu danken: Einerseits die Art, wie er aus der eigenen, fast fünf Jahrzehnte umfassenden psychotherapeutischen Erfahrung eine Phänomenologie des Menschen entwickelt; andererseits die Tatsache, dass er Themen behandelt, die sonst nicht zur Standardausrüstung psychotherapeutischer Überlegungen gehören: Kultur und Kunst, Religiosität, Spiritualität, Moral u. v. a. m. Das Buch ist aufgrund seiner Verständlichkeit und Relevanz sowohl für psychotherapeutische Anfänger, aber auch für Erfahrene, aber auch für „Laien“ ein wertvoller Anstoß zur eigenen Reflexion, seien es die Aspekte des Selbst (Seite 91f), seien es die Aspekte der Sinnkonstruktion (Seite 121f) und sich verändernden Menschenbilder (Seite 168ff), um nur einige Beispiele anzuführen.
Gratulation dem Autor und dem Verlag für dieses gelungene Werk aus der von W. Betraum herausgegebenen Reihe „Wissen und Leben“!