Zeit heilt nicht alle Wunden. Kompendium zur Psychotraumatologie
Das Buch mit Kompendiencharakter hat für die Herausgeber eine positive Perspektive: „Zeit heilt nicht alle Wunden“. Aber: Psychotherapie hilft mit der Zeit, Wunden zu heilen!
Buchtitel: Zeit heilt nicht alle Wunden. Kompendium zur Psychotraumatologie
AutorInnen: Özkan I, Sachsse U u Streek-Fischer A
Verlag: Vandenhoeck & Ruprecht
Erschienen: 2012
Zum Inhalt
Im März 2010 wurde die 12. Jahrestagung der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie DeGP T unter dem Tagungsthema „Zeit heilt nicht alle Wunden“ in Göttingen durchgeführt. Die Herausgeber attestieren der Zusammenkunft eben genau dieses: Das Miteinander von Klinik und Forschung, Vernetzung und Politik, therapeutische Versorgung und Öffentlichkeitsarbeit. Die Referate dieser Tagung umfassen all diese Themenstellungen, sodass das daraus gebildete Werk durchaus Kompendiencharakter beanspruchen darf. Das Buch wirft die Fragen auf, wie Genetik, Epigenetik, neurobiologische Grundlagen, Migration einerseits und Traumatisierung andererseits zusammenwirken; es fragt nach traumatischen Störungen der Entwicklung bei Jugendlichen und Kindern und nach der Trias Bindung, Trauma und Schmerz. Das Buch gibt auch Einblicke in diagnostische Fragestellungen bei Traumafolgestörungen und in Probleme der Diagnostik bei traumatisch gestörten Jugendlichen. Leser und Leserinnen erfahren auch über Verläufe der posttraumatischen Belastungsstörung, über verschiedene Behandlungsmöglichkeiten, z.B. mit einem Phasenkonzept.
Stellvertretend für die vielen Einsichten und Anregungen des Buches seien drei Beispiele angeführt: Die Freeze-Reaktion: Die bei mangelnder Flucht- oder Angriffsmöglichkeit einsetzende Freeze-Reaktion zeigt sich entweder in sympathikotoner Form ( Herzrasen, hohe Muskelspannung, Sprachlähmung etc. sind von der Panikattacke her bekannt) oder in parasympathikotoner Form (Erstarrung, verminderte Reizwahrnehmung, Embryonalhaltung etc. – bei dissoziativen Störungen bekannt) (Seite 68). Lebensbedrohung und völlige Hilflosigkeit bewirken zusammen die Traumatisierung.
Ein anderes Beispiel sind die diffizilen Zusammenhänge zwischen Borderline Persönlichkeitsstörung und Posttraumatischer Belastungsstörung bei Betrachtung über einen längeren Zeitraum hinweg. (Seite 47ff). Es erhebt sich die Frage der Chronizität der posttraumatischen Belastungsstörung. Diese schien zunächst so wichtig, dass sie eine eigene Kategorie zu begründen wert wäre. Die referierte Studie belegt aber die Nichtchronizität, da sich bei vielen Borderline-Patienten die relevante Symptomatik stark veränderte.
Spannend auch das sogenannte „Dissoziative Paradox“. Bei Schizophrenen bleibt die Selbstüberzeugung (Festhalten an eigenen Meinungen, Vorurteile etc.) relativ resistent gegenüber Behandlungen, während die Selbstreflexion (Offenheit gegenüber Rückmeldungen) sich bessert. Bei dissoziativen Störungen verringert sich die Selbstreflexion und es kann zu einer überhöhten Unbelehrbarkeit kommen (die Selbstüberzeugung wirkt als Schutzhaltung gegenüber der Infragestellung). Die ziemlich polaren Komponenten der kognitiven Einsicht, nämlich Selbstreflexion und Selbstüberzeugung, reagieren auf die therapeutischen Einflussnahmen nicht in erwartbarer polarer Weise.
Das Buch beleuchtet sehr viele Aspekte und hat für die Herausgeber eine positive Perspektive (auf Seite 9): „Zeit heilt nicht alle Wunden“. Aber: Psychotherapie hilft mit der Zeit, Wunden zu heilen!