Erwärmen in der Trauer. Psychodramatische Methoden in der Begleitung.

Die Psychodramatherapie wird eingehend dargestellt, der Leser mit vielen wichtigen Konzepten in Berührung gebracht...

Buchtitel: Erwärmen in der Trauer. Psychodramatische Methoden in der Begleitung.
Reihe: Edition Leidfaden
AutorInnen:
Schnegg M
Verlag: Göttingen: Vandenhoeck&Ruprecht
Erschienen: 2014

Zum Inhalt

Die noch junge Edition Leidfaden befasst sich mit der psychischen Situation Trauernder. Der vorliegende Band demonstriert die Anwendbarkeit des Psychodramas auf die Leidenssituation von Menschen, die den Tod Nahestehender betrauern. Der Autor ist Pfarrer, Hospizmitbegründer und Psychotherapeut. Zum Aufweis der Trauerbegleitung als schöpferische Begegnung wird einleitend eine umfangreiche Falldarstellung geboten. Die vielen Interventionsmöglichkeiten der Psychodrama-Therapie werden hier vorweg genommen und machen Appetit auf ihre Anwendung. Anschließend meint der Autor (Seite 19f), er habe zwar im Fallbeispiel die psychodramatische Methode beschrieben, aber da „Therapie“ übersetzt „Pflege, Dienen, Behandlung“ bedeute, sei auch jede andere Form der Begleitung Therapie! Hier kann man nur ein entschiedenes „Nein!“ entgegen stellen. In der Therapie“szene“ tut sich vieles, was den Ruf nach einem professionellen, fachlich profundem, ethisch einwandfreien therapeutischen Handeln verstehbar macht. Nicht von ungefähr gibt es Prüfverfahren, die einer Eintragung in die staatlich anerkannten Therapiemethoden erlauben. Die psychodramatische Psychotherapie ist in Österreich in diesem Kanon qualitativ hochstehender Verfahren eingetragen. Die Heilung durch Handlung wird als Weg des Psychodramas betont und auch die Einsatzmöglichkeit in der Trauerbegleitung. Als wesentlicher Aspekt des psychodramatischen Heilungskonzeptes wird die schöpferische, kreative und spontane Fähigkeit des Menschen von J.L. Moreno, einem österreichischen Arzt und Begründer des Psychodrama, beschrieben. Schnegg greift diese Ãœberzeugungen auf und entfaltet im 5. Kapitel einen breiten Methodenfächer: Das Definieren einer Bühne, auf der sich das therapeutische Geschehen abspielen soll, die Strategien des Rollentausches, des Doppelns, Spiegelns, des Sharings (Äußerung von Anteilnahmen des Begleiters oder der Gruppenmitglieder), des Rollentausches, der Prozessanalyse und vieles andere mehr. Auf Seite 29 wird nicht näher begründet wieder konstatiert, dass nicht immer ein Psychodrama-Leiter notwendig sei, „Die in diesem Buch dargestellten Beispiele beschreiben solche Möglichkeiten auch jenseits der Psychodramatherapie“. Worin besteht dann das eigentlich Professionelle, ist man versucht zu fragen. Gewisse Unschärfen sind auch an anderen Stellen auffindbar: z.B. wird auf Seite 98ff das „Soziale Atom“ eingeführt, ohne die Idee der Bezeichnung mitzuteilen (sich zu größeren Einheiten zusammen zu schließen), es wird nur angeführt, dass jeder Mensch in Verbund mit anderen Menschen stehe. Das soziale Atom wird als wichtige Komponente bezeichnet, im Glossar heißt es kurz: Das soziale Atom ist das sozial Netz.

Problematisch ist der Begriff „Erwärmung“, mit dem gemeint sein soll, dass eine intensive psychodramatische Behandlung erfordert, sich innig und plastisch mit den Inhalten und Inhaltsträgern zu befassen, sich einzufühlen. Erstens ist in Zeiten der Drohung durch globale Erderwärmung die Metapher belastet und auch sonst nicht für jeden Menschen gleichermaßen unbedenklich positiv konnotiert. Zweitens wird die „Erwärmung“ in den Interviewbeispielen auf Seite 34 bis 37 auf eine Art geschildert, die man als rational differenzierend beschreiben könnte und nicht als emotionale Einfühlung, die Fragen zur Detaillierung der Vorstellung sind an meist visuellen Einzelheiten orientiert: Aussehen, Form, Beschaffenheit etc. Ein â€žbeeindruckendes“ Beispiel: Die Begleiterin (so wird hier der therapeutisch Handelnde bezeichnet) sagt: „Wenn Sie sich vorstellen, wie das war, oder wenn Sie die Möglichkeit hätten, hier noch einmal mit ihrer Frau zu sitzen- „ nun erwartet der Leser irgendeine Gefühlsfrage wie etwa: wie geht es Ihnen dabei, was fühlen Sie, was empfinden Sie, was macht das mit Ihnen…- stattdessen sagt die Begleiterin: …wenn Sie die Möglichkeit hätten, hier noch einmal mit Ihrer Frau zu sitzen, zu welcher Tageszeit wäre das?“ Auch der Begriff der „Rolle“ schillert: Er wird nicht als das Bündel von sozialen Erwartungen definiert, sondern als Befindlichkeit in differenten Situationen, etwa stickige Hitze in einem Zug oder im Schatten ein kühles Getränk genießend. Die auf Seite 46 konstatierte Rollenwahrnehmung ist eigentlich eine Situationsinterpretation. Im Glossar auf Seite 137 definiert der Autor Rolle so: „Rolle ist ein Anteil, der in uns und außerhalb von uns besteht. . Rollen können Personen, Persönlichkeitsanteile, aber auch allegorische Figuren, Empfindungen und Sachen sein.“(Auch der Begriff des „Tele“ ist ein weiteres Begriffsunschärfezeichen, auf Seite 61 wird die Wortbedeutung als „weit und fern“ eingeführt und als Bezeichnung für Einfühlung benannt!) Abseits dieser terminologischen Fragen ist das Buch durchaus lesenswert. Sehr klar gegliedert und nachvollziehbar gestaltet sind die Hinweise zu psychodramatischen Methoden in einem Seminar für aktive Trauerbegleitende. Originell und therapeutisch durchaus kostbar sind die Ausführungen zur „Surplus reality“ , zu einer anderen Wirklichkeit, die fantasievoll sein kann, belastend durch psychotische Erfahrungen, die aber auch die Möglichkeit bietet, Unerledigtes (bzw. Unerledigbares, weil zeitlich bereits vergangen) aufzugreifen und nachträglich zu bearbeiten.Soziometrie ist nichts Neues, wie der Autor aber die soziometrische Methode einführt, um den Teilnehmern einer Gruppe sichtbar zu machen, welche verschiedenen Zusammengehörigkeiten gegeben sind, ist durchaus kreativ und anregend.

Die Querverbindungen zur Trauerbearbeitung bzw. –begleitung zeigen, dass die dargestellte Methode dafür geeignet ist.Zwei Fragen wären noch interessant: Die Abgrenzung zur Gestaltpsychotherapie und die Frage, ob Moreno auch spirituelle Gedanken hegte, weil der Autor auf Seite 134 von einem Glauben an einen Lebenssinn spricht.


Nach Meinung des Rezensenten hat das Buch viel geleistet, indem es eine psychotherapeutische Methode auf ein schwieriges Leiden anwendet: Die Psychodramatherapie wird eingehend dargestellt, der Leser mit vielen wichtigen Konzepten in Berührung gebracht. Das Buch und sein Autor sollten aber nicht anstreben, simultan eine Strategiesammlung für den Nichtpsychotherapeuten zu liefern. Bereits die dargestellten Fallberichte zeigen viele Fallstricke und Hürden auf. Besser wäre es zu vermitteln, dass Beistand, einfühlsame Präsenz die unmittelbare Hilfe durch den Nichtfachmann darstellen, eine Überbrückung bis zum Kontakt mit einem professionellen Helfer.

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
24.04.2014
Link
https://www.edugroup.at/bildung/paedagogen-paedagoginnen/rezensionen/existenz-entwicklung-tod/detail/erwaermen-in-der-trauer-psychodramatische-methoden-in-der-begleitung.html
Kostenpflichtig
nein